Born to be wild

Als ich ein kleiner Junge war, gab es im Duisburger Zoo auch bereits Löwen und Tiger. Sie wurden damals in relativ kleinen Käfigen gehalten, und ich weiß noch, daß ich beim Anblick dieser wilden Tiere [man durfte bis auf etwa zwei Meter an die mit dicken Gitterstäben bewehrten Käfige herantreten] sowohl beeindruckt als auch abgestoßen war. Beeindruckt von der Kraft, die man in jeder geschmeidigen Bewegung dieser Geschöpfe erahnen konnte, und abgestoßen von der Zurschaustellung ihrer so trostlos erscheinenden lebenslänglichen Gefangenschaft.

Heutzutage kann man Löwen und Tiger im Duisburger Zoo zwar nicht mehr aus so großer Nähe betrachten (falls sie sich nicht – wie auf dem Foto – gleich hinter der Glasscheibe aufhalten), doch sind sie dafür in Freigehegen untergebracht, was zugegebenermaßen schon eine deutliche Verbesserung zu ihrer alten Zweiraumbehausung [zum Schlafen gab es noch einen Bereich hinter den Käfigen] darstellt. Ich bin allerdings immer noch sehr zwiegespalten, wenn es um die Frage geht, ob man Raubkatzen überhaupt in Zoos halten sollte, wo ihr natürlicher Lebensmittelpunkt, der Jagdinstinkt, ja vollkommen unterdrückt wird. Ein alternatives Leben in freier Wildbahn hätte für Löwen und Tiger allerdings auch nicht nur Vorteile, da sie in ihren Heimatländern Gefahr liefen, von Wilderern getötet oder von Krankheiten dahingerafft zu werden. Wäre eine nicht ganz risikolose Freiheit in den großen Nationalparks also dem Eigentlich-nie-was-los-Aufenthalt in Zoos vorzuziehen? Werden Tiere in Zoos gehalten, weil ihnen dort ein besseres Leben als in ihrer natürlichen Heimat geboten wird? Oder doch nur, damit die Menschen ihren Spaß an ihnen haben?

Löwe im Duisburger Zoo

(Das Foto vom Löwen ist übrigens vom Loeven.)

 

An dieser Stelle möchte ich gerne noch zwei Literaturbeispiele aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts anführen, als die Verhältnisse in den Tierparks noch sehr viel unmenschlicher [oder müßte es untierischer heißen?] als heute waren, welche mir trotz inzwischen viel modernerer Tierhaltung jedoch immer noch zu denken geben.

Wenn’s nach mir ginge, gäbe es auf der ganzen Welt keinen einzigen gefangenen Löwen oder Tiger. Die gewöhnen sich nie daran. Sie sind nie glücklich, finden sich nie damit ab. Sie denken immer an die riesigen Länder, die sie verlassen haben. Das kann man in ihren Augen lesen – sie träumen immer von der weitläufigen Landschaft, in der sie geboren wurden, von den dichten, dunklen Dschungeln, in denen ihre Mütter ihnen beigebracht haben, wie man Beute wittert und Fährte aufnimmt. Und was kriegen sie zum Ausgleich für all das?” fragte der Doktor, blieb stehen und wurde ganz rot und zornig. “Was gibt man ihnen zum Ausgleich für die Pracht eines afrikanischen Sonnenaufgangs, für die Dämmerbrise, die in den Palmen flüstert, für die grünen Schatten der verflochtenen und verschlungenen Ranken, für die kühlen sternenreichen Nächte der Wüste, für das Murmeln des Wasserfalls nach einem harten Tag der Jagd? Was, frage ich dich, kriegen sie für all das? Einen nackten Käfig mit Eisenstäben, ein häßliches Stück totes Fleisch, das ihnen einmal am Tag hineingeschoben wird, und eine Menge Narren, die vorbeikommen und sie mit offenem Mund anstarren! Nein, Löwen und Tiger, diese großen Jäger, sollte man nie, niemals in einem Zoo sehen.”

Hugh Lofting, “Doktor Dolittles schwimmende Insel” (1922)

 

Der Panther

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf — dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille —
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke, 1902 oder 1903