Der Akkord des Monats Januar 2021 (1/13)

1. Januar 2021

Dies ist ein historisches Datum für mich, da es der erste Neujahrstag seit 44 Jahren ist, an dem ich kein Gitarrenkursleiter bin. Nach dem im März 2020 coronabedingt erfolgten temporären „Berufsverbots“ hatte ich mich während der Planung fürs Herbstsemester dafür entschieden, meine Lehrtätigkeit an der VHS Duisburg nicht fortzusetzen und statt dessen mit 66,5 Jahren (während ich eigentlich noch bis zum 71sten Lebensjahr hatte weitermachen wollen) in den Kursleiterruhestand zu treten. Einerseits gemäß dem Motto „Aufhören, wenn es am schönsten ist!“ (weil das Unterrichten in Zeiten des Coronavirus‘ garantiert schwieriger und streßiger als vorher wäre), und andererseits wegen der trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht auf null reduzierbaren und mich deshalb etwas ängstigenden Ansteckungsgefahr. Da war es mir doch wichtiger, weniger Geld [sprich: leider gar keins mehr] zu verdienen [weswegen das Sozialamt – weil ich von meiner Mini-Rente nicht mal die Mietkosten begleichen könnte – dann eben schon etwas früher als geplant kontaktiert werden muß] und statt dessen mehr Zeit für mein seit 2018 in Arbeit befindliches neues Buch [kein Gitarrenbuch, sondern etwas Literarisches] zu haben.

Weil ich das Unterrichten aber doch ein wenig vermißt habe, hatte ich – um auf diese Weise vielleicht auch noch ein wenig weiterdozieren zu können und so – in der zweiten Jahreshälfte beschlossen, dann endlich mal die schon seit mehreren Jahren in der Ideen-Warteschleife vor sich hin dümpelnde „Akkord des Monats“-Serie auf den Weg zu bringen.
xxxxx“Und ich bin gespannt”, hatte ich im Vorwort des ersten Beitrags im Januar 2021 geschrieben, “wie sich das Ganze bis zum Jahresende in bezug auf den Anekdoten- und Lehranteil und so entwickeln wird.” Und jetzt weiß ich’s: viel umfangreicher (auch aufgrund des überhaupt nicht geplant gewesenen Theorieanteils und so) als gedacht, doch bin ich, trotz des wirklich unschönen Stresses in den letzten Schreibmonaten, froh, die Mühen auf mich genommen und so noch etwas Konkretes aus dem Beruf, den ich ich nicht gesucht, sondern der mich eher gefunden hat, hinterlassen zu haben.

 

Der Akkord des Monats Januar 2021

Während für die Darstellung des Fingersatzes üblicherweise Zahlen verwendet werden, habe ich mich bei den Griffbildern hier doch für Buchstaben entschieden (was auch Nicht-Gitarrenspielern das Verständnis erleichtern dürfte), weil ich Zahlen bereits zur Benennung der einzelnen Tonleiterschritte rechts neben den Akkorddiagrammen verwendet habe.

Den heute in den Mittelpunkt gestellten D-Dur-Griff habe ich neben dem A-Dur-Akkord [bei dem in der Tabulaturnotation (von oben nach unten gerechnet) die Bünde 0, 0, 2, 2, 2, 0 mit ebenfalls den ersten drei Fingern gedrückt werden] schon in der ersten Stunde meiner Anfängerkurse vorgestellt, da D und A die einzigen beiden Grundgriffe sind, bei denen der Zeigefinger der Greifhand weiter oben als die anderen Finger zu liegen kommt. Und weshalb das von Bedeutung ist, will ich hier etwas genauer erklären.

Bei der üblichen Gitarrenhaltung wird die rechte Hand zum Schlagen (oder Zupfen) und die linke zum Greifen der Akkorde benutzt. Und da die meisten Gitarrenschüler Rechtshänder sind, sind die Finger an ihrer (linken) Greifhand nicht ganz so gut trainiert und deswegen etwas unsicherer als die Finger an der rechten Hand, so daß fast alle Anfänger bei ersten Greifversuchen mit dem offenbar treffsichersten Finger der linken Hand beginnen wollen: dem Zeigefinger. Doch was für den Gitarrenspielanfänger am leichtesten ist, ist (aus Gitarrenlehrersicht) nicht immer auch am besten.

Stets den sichersten Finger (der linken Hand) zuerst draufzusetzen bedeutete nämlich, daß die weniger sicheren Finger [der etwas schwächere Mittelfinger (M) und der noch schwächere Ringfinger (R)] in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den stärkeren Fingern verblieben, was ein für später gewünschtes gleichzeitiges Aufsetzen der Finger beim Akkordegreifen schwerer machen würde. Solange die schwächeren Finger sich nicht emanzipiert haben (also nicht gezielt sicherer und stärker und unabhängiger geworden sind), wird immer ein gewisses Ungleichgewicht beim Alle-Finger-gleichzeitig-Aufsetzen herrschen, und um dieses auszumerzen, müssen die Problemfinger halt einem besonderen Training unterzogen werden.

Und die Art dieses Spezialtrainings ergibt sich fast schon von selbst, wenn man weiß, daß bei bestimmten Anschlag- und Zupftechniken der Baßton früher als die anderen Töne (des Akkordes) zum Klingen gebracht werden muß. Weshalb es doch naheliegt, die zuerst benötigten Töne auch zuerst (und nicht erst an zweiter oder dritter Stelle) gegriffen zu haben. Und da die tiefklingenden Baßseiten auf der Gitarre oben liegen, der sicherste Greiffinger (Z) in der Regel aber meistens weiter unten aufgesetzt wird [nur nicht bei A und D, weshalb ich damit auch im Kurs beginne], müssen deshalb die schwächeren Finger (M und R) die Aufgabe übernehmen, die Töne im Baßbereich abzudecken. Aus diesem Grund mußten in meinen Kursen immer die Finger zuerst aufgesetzt werden, die beim jeweiligen Griff am weitesten oben liegen [der M bei E-Dur, e-Moll und a-Moll, und der R bei C-Dur und G-Dur; was diese schwächeren Finger nebenbei auch schon fürs Alle-Finger-beim-Akkordegreifen-mal-gleichzeitig-aufsetzen-Können trainiert]. Das ist zwar schwerer, als den Z zuerst benutzen zu dürfen, doch nachdem ich meinen Schülern erklärt hatte, was ich damit bezwecken wollte und weshalb der leichtere Weg hier nicht der bessere sei, haben sie es auch eingesehen und sind mir auch (fast alle) gefolgt. Seinen Schülern die freie Wahl der Reihenfolge des Fingerdrauflegens beim Akkordegreifen zu lassen halte ich also für einen großen Schlechter-Gitarrenlehrer-Fehler.

[Übrigens: In dem rund ein Dutzend mir bekannter Gitarrenlehrbücher für Anfänger habe ich noch nie irgendwo einen Hinweis auf eine Fingersetz-Reihenfolge beim Akkordegreifen gefunden. Seltsam!]

Und nun wieder zurück zum D-Griff, bei dem – wie eingangs schon erwähnt – der Zeigefinger ja (wie auch beim A-Griff) am weitesten oben liegt. Was bedeutet, daß der sicherste Finger (Z) hierbei auch zuerst draufgelegt werden darf, weil er die pelikanesische Regel der Finger-Aufsetz-Reihenfolge (zuerst der am weitesten oben zu plazierende Finger) beachtet.

Und da es ja das Ziel ist, die Finger beim Akkorde greifen irgendwann auch mal gleichzeitig aufsetzen zu können, würden sie dann logischerweise in der Luft schon (über dem Griffbrett schwebend) den kompletten Griff bilden müssen, der dann “nur noch” abgesetzt zu werden bräuchte. Dieses Alle-benötigten-Finger-gleichzeitig-Draufsetzen ist im (nur 13 Wochen laufenden) Anfängerkurs aber eigentlich nur bei A schon möglich (weil Z, M und R dabei ganz natürlich nebeneinanderliegen), weshalb sich der nachfolgende Schlußhinweis erst im Laufe des zweiten Kurses verwirklichen lassen dürfte:

Beim Akkordewechseln zwischen D und A sollte ein Anfänger sich erst einmal an einem bestimmten Finger orientieren, was (mit Ausnahme der wenigen Leute, die den R zuerst zu bewegen bevorzugen) am einfachsten mit dem Z zu bewerkstelligen ist. Nach recht kurzer Zeit haben meine Schüler beim Wechseln von D nach A dann auch schon alle drei Finger (mehr oder weniger) gleichzeitig aufzusetzen gelernt, während es umgekehrt – von A nach D – ganz anders aussieht. Obwohl der R bei beiden Griffen ja auf derselben (vorletzten) Saite zu tun hat, bewegt er sich beim A-nach-D-Wechsel von dieser aber doch wieder fort. Weil er – während Z und M schon einigermaßen gleichzeitig die richtigen Stellen für den D-Griff treffen – vom M mit nach unten gezogen wird, woraufhin er (R) nach diesem (eigentlich unnötigen) Umweg erst wieder nach oben zurückgeführt werden muß. Und bei diesem 2-Schritte-Weg (während nur ein Schritt das angestrebte Ziel ist) ist es in meinen Kursen dann auch sehr (sprich: viel zu) lange geblieben; bis ich mich irgendwann zu fragen begann, weshalb das Ganze so zweigeteilt ablief, obwohl der R sich beim A-Griff ja schon auf dem richtigen “Breitengrad” (der vorletzten Saite) für den D-Griff befand. Bis ich dann mal erkannte, daß der M der “Übeltäter” war, indem er den R beim Wechseln immer mit nach unten wegzog. Und beim Diskutieren über diesen Problempunkt erklärte meine Schülerin Ruth [an dieser Stelle ganz herzliche Grüße nach Duisburg oder Afrika] uns eines Tages, daß es bei ihr am besten funktionieren würde, wenn sie (beim Wechsel von A nach D) zeitgleich mit dem Wegnehmen des A-Griffes den M (während die anderen Finger unverändert blieben) etwas in die Handfläche hinein nach hinten krümmen würde und damit quasi schon den kompletten D-Griff in der Luft fertig hätte, die Hand dann insgesamt “nur noch” ein klein wenig zu drehen und zu verschieben bräuchte und die Finger anschließend nur noch (gleichzeitig) absetzen müßte.
xxxxxAuf diesen erst im Frühjahr 2019 erlernten Hinweis-“Trick” wäre ich alleine vermutlich nie gekommen, doch habe ich seit Beginn der 2010er Jahre in meinen Kursen bewußt eine Form von beidseitigem “Erfahrungswerteaustausch” (aus Lehrer- wie aus Schülersicht) vorangetrieben, durch den ich auch nach mehr als 30jähriger Gitarrenkursleitertätigkeit noch auf wirklich gute neue Ideen gebracht worden bin. Und immer, wenn ich den D-Griff mal etwas analytischer betrachte, werde ich an Ruth und die wirklich besonders freundliche Atmosphäre in den meisten meiner vergangenen Gitarrenkurse erinnert, so daß es für mich völlig klar war, diesen Griff auch in die “Akkord des Monats”-Reihe aufzunehmen.