Vorbemerkung:
……….Motte hat meiner Meinung nach nicht zu den wirklich bedeutenden Duisburger Künstlern gezählt, so daß eigentlich auch kein Nachruf-Denkmal nötig gewesen wäre. Doch weil ich mit ihm in den 1970er Jahren fast so was wie befreundet gewesen bin, habe ich mich aus dieser alten Verbundenheit heraus entschieden, etwas auf dieser Webseite über ihn zu schreiben, das gleichzeitig auch einen Teil meiner eigenen Geschichte darstellt.
Am 18. März 2018 ist Carl Korte – einigen Duisburgern besser unter dem Namen „Motte“ bekannt – im Alter von 65 Jahren gestorben.
Motte ist am 13. August 1952 geboren worden und auf der Gärtnerstraße in Duisburg Wanheimerort bei seiner Mutter aufgewachsen. Einen Vater hat er nie gekannt. Er erzählte mir mal, daß er als Kind auf einer Veranstaltung gewesen sei, bei der auch ein Zauberer aufgetreten wäre. Und Jahre später hätte seine Mutter ihm mitgeteilt, daß dieser Zauberer sein Vater war.
……….Eine schöne Legende – oder eine schön ausgedachte Geschichte (Motte hat nämlich häufig ein wenig gesponnen) –, die später auch in der Kurzbiographie eines seiner Bücher ihren Widerhall fand: „Motte, Sohn eines Magiers“.
Ich wurde gezeugt zu Vaters Vergnügen,
Mama war zu schwach und mußte sich fügen,
so hat sie empfangen ohne zu geben,
und ich durfte leben.
……….[Aus „Lebenslauf“, 1971]
M U S I K
Zum erstes Mal sind Motte und ich uns im Dezember 1970 über den Weg gelaufen. Ich spielte damals seit einem Monat in einer kleinen Band, die aus Manni Schmitz am Gesang, Pete Eckardt an der elektrischen Leadgitarre, Klaus „Zoppo“ Bausen am Schlagzeug und mir selbst [siebzehn Jahre alt und erst seit vier Monaten mit Gitarrespielen beschäftigt] an der akustischen Rhythmusgitarre bestand. Die Proben fanden in einem ehemaligen Hühnerstall im Schmitz’schen Garten in Wanheimerort statt, und ein häufig anwesender Freund der Band, Klaus Barbian, fragte eines Tages mal in die Runde, ob wir nicht vielleicht noch einen Orgelspieler bräuchten. Wir blickten einander kurz an und kamen zu dem Schluß: nein. Ich hab aber einen kennengelernt, der gleich mal vorbeikommen will, gab Klaus zurück, und einige Minuten später stand Motte in der Tür.
……….Die Probe fiel an diesem Tag etwas kürzer aus, weil wir alle noch zur Gärtnerstraße zu Motte nach Hause marschiert sind, wo er uns etwas vorspielen wollte. Da seine Orgel aber gerade irgendwo anders in einem Proberaum stand, setzte er sich zur allgemeinen Verblüffung an ein Harmonium, trat mit den Füßen in die Schöpfpedale (denn ohne Luftzufuhr gab dieses Instrument keinen Ton von sich) und legte los.
……….Ich erinnere mich noch, daß ich das Resultat eher „seltsam“ fand (und so gar nicht nach Goldy McJohn klingend, dem Organisten meiner damaligen Lieblingsband Steppenwolf), doch war das Ganze so selbstbewußt vorgetragen, daß er uns alle etwas beeindruckt hat und aufgrund dessen wohl auch als fünftes Mitglied in die Band aufgenommen worden ist.
……….[Motte ist Autodidakt gewesen und hatte damals erst seit wenigen Wochen Orgel gespielt, in dieser Zeit aber schon einen Auftritt mit einer Gruppe namens „Atrocity Tale“ gehabt.]
Mottes Einstieg in unsere Band hatte Veränderung zur Folge. Musikalisch ging es [Motte war halt kein Bluesmann] immer mehr von „meiner“ Richtung weg, und auch bei den immer häufiger aufkommenden Diskussionen konnten Motte und ich einfach keinen Nenner finden. Da ging es zum Beispiel mal um die Frage, ob man als junger Musiker überhaupt Lieder nachspielen dürfe, um erst einmal die Form dieser Kunst besser verstehen zu lernen, oder ob man Fremdeinfluß möglichst aus dem Weg gehen sollte, um sofort bedingungslos an eigenen Kompositionen zu basteln? Und während ich das Lieder-Nachspielen befürwortet hatte, wollte Motte davon nichts wissen und sich nur auf musikalische Neuland-Pfade begeben.
……….Außerdem befand er, daß wir unbedingt auch einen Baßisten bräuchten, und eines Tages schleppte er tatsächlich schon die Anlage eines solchen an. Es war kaum zu übersehen, daß Motte immer mehr den Ton angab und irgendwie dabei war, die Band zu übernehmen, während ich selbst nur in freundschaftlicher Atmosphäre ein wenig Musik machen und mir nicht schon wieder [wie in der Schule, die ich erst vor kurzem verlassen hatte] von einem „Boß“ etwas vorschreiben lassen wollte, so daß ich (noch bevor ich den Baßisten überhaupt zu Gesicht bekommen habe) nicht anders konnte, als im Januar 1971 meinen Ausstieg zu erklären; weil man mit Motte – den ich immer eher als exzentrischen Solisten denn als mannschaftsdienlichen Team-Player empfunden habe – nur gut zusammenarbeiten konnte, wenn man seine Meinung teilte.
Mein Ausstieg aus der Band sollte aber viel weitreichendere Folgen als gedacht haben, da die Zurückgebliebenen nämlich ebenfalls beschlossen, andere Wege zu gehen, so daß aus nur einer Musikgruppe schließlich zwei ganz neue entstanden sind.
……….Ich selbst hatte mich zum Musizieren weiterhin mit Zoppo (diesmal an den Bongos) getroffen, und nachdem er mich mit dem Gitarristen und Geigenspieler Tom Altrogge bekanntgemacht hatte, haben wir drei im April 1971 das akustische Bluestrio „Scarabäus Zubiss“ aus der Taufe gehoben, das ein ganzes Jahr lang zusammengeblieben ist und in sehr entspannter (= bekiffter) Atmosphäre im Zimmer unseres Freundes Jupp ‘ne Menge bluesiger Hausmusik gemacht hat,
……….während Pete und Motte die elektrische Rockband „Kiste II Wildschwein“ auf die Beine stellten [mit Manni Weber (Baß, Gesang) und Andre Pentzien (Schlagzeug, Gesang)], die ausschließlich eigene Kompositionen aufgeführt und recht progressive Musik gemacht hat. Diese Combo hat etwa 9 Monate lang existiert, während Motte im selben Jahr (1971) aber auch noch Mitglied in der „Pelikan Rock-Gruppe“ [ich hatte mit der Band nicht das Geringste zu tun und weiß bis heute nicht, was die sich bei der Namensgebung gedacht haben] und bei „Oxymoron“ [die sich fast ausschließlich aus meinen ehemaligen Klassenkameraden vom Mannesmann-Gymnasium zusammensetzte] gewesen ist. 1973 hat Motte auch noch der ersten Besetzung von „Ausz“ angehört [meiner Duisburger Lieblingsband in den 70ern – die es seit Mai 2016 übrigens wieder gibt], und danach verlieren sich meine Informationen über seine Zugehörigkeit zu lokalen Rockbands, bis er 1978/79 und ’81 seine eigene Gruppe „Mottes Meute“ auf die Bühne brachte.
Auch wenn ich musikalisch mit Motte überhaupt nicht auf derselben Wellenlänge war [was sich auch nie mehr ändern sollte] und deshalb nur sehr selten mit ihm zusammen musiziert habe, haben wir einander in den 70er Jahren doch recht häufig gesehen. Von der Gärtnerstraße bis zum Pelikan-Heim Im Vogelsang war es schließlich auch nicht besonders weit (höchstens 15 Minuten zu Fuß), und als er eines Tages mal anschellte, um mich zu besuchen, öffnete mein Vater die Tür und Motte sagte: „Hallo, ich bin die Motte“. Mein Vater war verwirrt. Er hatte nämlich „ich bin die Mutter“ verstanden.
Motte ist schwul gewesen, und es war bestimmt kein Versprecher, daß er sich bei dieser Gelegenheit mit die Motte vorstellte, obwohl er später auch der Motte benutzt hat. Sein Schwulsein hat mich – nachdem ich mich erst mal an den Gedanken gewöhnt hatte – auch nicht weiter gestört, nur fand ich, daß er manchmal doch etwas zu großes Gewese davon machte und in späteren Liedertexten viel zu sehr den Eindruck zu erwecken versuchte, als wenn er sich in zwielichtigem Halbwelt-Milieu bestens auskennen würde, was ich aber immer nur für Show gehalten habe. Als er irgendwann jedoch auch noch seine pädophilen Neigungen zugab und dann auch noch regelrecht damit anzugeben begonnen hat, habe ich ihm das – da er auch keinerlei moralische Bedenken zeigte – doch schon ziemlich übel genommen.
F R Ü H E P R O S A
Es gibt (bis ins Jahr 2008 hinein) einige Parallelen im Leben von Motte und mir. So haben wir beide 1970 mit dem Musikmachen begonnen, uns beide 1971 an ersten eigenen Liedern mit Text (er auf deutsch, ich auf englisch) versucht und 1974 jeweils unser erstes Prosa-Büchlein auf den Markt gebracht. Meines trug den einfallslosen Titel „4 Kurzbücher, 1 Lexikon und 1 Brief“ und war im Januar 1974 in einer Auflage von 20 Exemplaren erschienen, und Mottes folgte einige Monate später und hatte mit „Titel 1“ einen sogar noch einfallsloseren Namen bekommen, dafür aber einen recht flotten Werbespruch zu bieten: Wenn du nicht mehr weiter weißt, greif’ zum Buch, das Durchblick heißt. Doch war es bei diesem Buch überhaupt nicht so einfach, den versprochenen Durchblick auch wirklich zu entdecken, da die Beiträge (bis auf einen ganz vorne, für den man das Buch – oder sich selbst – zum Lesen aber auf den Kopf stellen mußte) von hinten nach vorne liefen.
……….Es ist in jenen Tagen nicht so leicht gewesen, preisgünstig Texte in kleiner Auflage herauszubringen [wenn man eine bessere Vervielfältigungsqualität als beim inzwischen ziemlich veralteten Hektographieren haben wollte], weil das Fotokopieren beispielsweise (in jenen Vor-Copyshop-Zeiten) noch sehr teuer war: 1 DM für ein einziges Blatt. Also mußten wir, um unsere Werke auf den Markt zu bringen, irgendwo einen auftreiben, der das möglichst umsonst erledigen konnte, was uns schließlich auch gelungen ist. [Mein Freund Nilles ist einige Monate später beim Fotokopieren meines Nachfolgewerkes allerdings von seinem Chef erwischt und auf der Stelle rausgeschmissen worden – doch ist er ohnehin nicht besonders scharf auf diesen Job gewesen.]
Beide sogenannten „Bücher“ sind in Wahrheit aber nur ziemlich dünne Machwerke von 20 [bei Motte] und 30 [bei mir] einseitig kopierten DIN-A5-Seiten gewesen, die mit Heftklammern [bei Motte] und Bindfaden [bei mir] zusammengehalten wurden und wegen ihrer schwarzen Pappumschlag-Cover sehr an alte Klassenarbeitshefte erinnerten. Der Inhalt meines Buches bestand aus ein paar autobiographischen Skizzen sowie einem vierseitigen Minilexikon, in dem Motte mehrfach als Mitglied von ehemaligen Duisburger Bands genannt wurde, und er revanchierte sich, indem auch ich in seinem ersten Buch Erwähnung fand:
……….Brief an Alan S.H. Pelikan
Mein lieber guter Dauerblauer,
aufgrund unserer bisher vorzüglichen Geschäftsbeziehungen (wie Sie sich vielleicht erinnern können, pflegte ich stets, auch in Ihrer Abwesenheit, von ihrem Tabak zu rauchen und von ihrem Whisky zu trinken) bin ich nicht abgeneigt, gegen einen Vorzugsdrink einen Hinweis auf ihr neuestes Werk in meinem Erstling zu publizieren. Es läßt Sie grüßen
……….HONKY TONK MOTTE
Und später hieß es noch:
……….Anzeige:
Alan S.H. Pelikan schreibt ein neues Buch. Hurra!
……….Anmerkung 1: Daran, daß er meinen Whisky in meiner Abwesenheit gesoffen hätte, kann ich mich zwar nicht erinnern, dafür aber an einen Besuch von Harald, Lolle, Buddy und mir bei ihm. Er war zwar nicht zu Hause, doch ließ seine Mutter uns trotzdem in seinem Zimmer auf ihn warten, und wir verlebten dann einen sehr netten Abend, obwohl Motte an dem Tag überhaupt nicht mehr auftauchte. (Hat er darauf vielleicht – einfach alles ins Gegenteil kehrend – angespielt? Würde absolut zu seinem Humor gepaßt haben.)
……….Anmerkung 2: Das Dauerblauer bezog sich auf mein Faible für Bluesmusik, und ein wenig vielleicht auch auf meinen damaligen hin und wieder schon etwas über die Stränge schlagenden Alkoholkonsum, der mir rund 20 Jahre später dann noch enorme Probleme bereiten sollte.
L I E D E R M A C H E R
Auch wenn wir beide zu Zeiten der Hühnerstallband noch den großen Traum hatten, später mal als Rockmusiker berühmt zu werden, entdeckten wir ziemlich rasch, daß eigene Lieder zu schreiben noch einen zusätzlichen Befriedigungsfaktor auf der Suche nach Selbstverwirklichung und Anerkanntsein bedeutete. Weil die Art dieser Lieder aber nicht recht zu der rockigen oder bluesigen Musik unserer damaligen Bands paßte, lag es nahe, daß wir eines Tages auch mal als „Liedermacher“ alleine auf die Bühne gehen würden.
……….Mein erster Solo-Auftritt fand [nachdem ich mein Konzertdebüt schon ein halbes Jahr zuvor mit Scarabäus Zubiss gegeben hatte] im Dezember 1972 statt, und diesen Gig hatte ich ausschließlich Motte zu verdanken. Er hatte für seine damalige Band Oxymoron einen Auftritt auf der Feier zum 50jährigen Bestehen des Schwimm- und Wasserballvereins DJK Poseidon Duisburg klargemacht, und weil ihr Baßist an diesem Abend verhindert war, traten sie mit einem Aushilfsbaßisten auf [und so habe ich Kalle Burandt, meinen seit mehr als vierzig Jahren besten Freund, kennengelernt]. Und weil das Programm mit dem Ersatzmann möglicherweise etwas zu kurz war, hatte Motte mich noch als „Vorgruppe“ engagiert.
……….Was willst du dafür haben, hatte er mich gefragt. Eine Flasche Whisky, hatte ich geantwortet – vermutlich, weil ich es cool fand, später mal erzählen zu können, daß meine erste Sologage in einer Flasche Whisky bestanden hätte.
……….Diese Gage habe ich von Motte zwar auch bekommen, doch bin ich nicht gerade begeistert gewesen, als ich feststellte, daß er das billigste Zeug (made in Germany) genommen hatte, das überhaupt nur aufzutreiben gewesen war. Ist dann auch kein besonderer Genuß gewesen, doch konnte ich Motte als Geschäftsmann ja überhaupt nichts vorwerfen, da er unserer Vereinbarung absolut korrekt nachgekommen war; nur hatte ich halt erwartet, daß er mehr wie ein Freund, der einem etwas Gutes tun wollte, denken und handeln würde.
Der früheste Motte-Soloauftritt, von dem ich definitiv weiß, hat im Februar 1974 stattgefunden. Und wenn dies tatsächlich sein allererster gewesen sein sollte, trüge auch ich an diesem Solo-Debut eine gewisse Mitschuld.
……….Am 24. Januar 1974 war ich mit Gitarre und 300 DM in der Tasche (sowie der Zusicherung auf einen Schlafplatz für die erste Nacht) nach Berlin gefahren, und am Ende des Monats hatte ich bereits sieben Auftritte hinter mir: im Steve Club, im Folk-Pub und fünfmal im Go-In, dort meistens als Letzter zwischen 3 und 5 Uhr morgens. Und von diesen außergewöhnlichen Ereignissen schrieb ich natürlich auch nach Duisburg, und als ich am 12. Februar abends ins Go-In kam [obwohl ich erst weit nach Mitternacht spielen sollte, doch den vorher auftretenden Musikern zusehen zu können war halt auch einfach nur klasse], saß Motte auf einmal da. Am nächsten Abend hat er dann [wie alle Neuen noch ohne Gage] im Folk-Pub gespielt [sein möglicherweise ja erster Solo-Gig] und ist ein paar Tage später [weil es für ihn als Klavierspieler ohne eigenes Instrument auch viel weniger Möglichkeiten als für mich gab] dann wieder nach Duisburg zurückgefahren, während ich selbst noch bis zum 2. April geblieben bin und von Februar an noch weitere 60 Auftritte machen konnte. Für einigermaßen talentierte Gitarrenspieler ist West-Berlin damals wirklich das Paradies gewesen.
……….Wenn ich von einem Auftritt rede, meine ich übrigens immer nur einen recht kurzen von nicht mehr als 20 Minuten Spielzeit (es sei denn, das Publikum hatte am Ende noch eine oder mehrere Zugaben gefordert), was vier bis fünf Lieder bedeutete. Und nach 5minütiger Pause trat bereits der nächste Act auf die Bühne, so daß es völlig normal war, mehr als ein Dutzend verschiedener Musiker an einem Abend zu erleben. [Als Gage für diese 20-Minuten-Gigs habe ich zuerst 10 DM erhalten, und ab März dann sogar 12 DM. Die richtig guten Leute bekamen aber das Doppelte.
……….Und einen Monat nach Motte ist auch Tom Altrogge noch für zehn Tage nach Berlin gekommen und hat bei fünf meiner Auftritte Scarabäus Zubiss noch mal als Duo wieder aufleben lassen. Was für eine Zeit, was für ein Abenteuer!]
Wieder zurück in Duisburg bin ich sogleich für den ersten von Motte organisierten Konzertabend „Blues & Lieder“ (in der Aula der Duisburger Gertrud-Bäumer-Schule am 10. Mai 1974) engagiert worden, bei dem außer Motte und mir auch noch Andre Pentzien & Frank Steinfort, Norbert Schewe und (als Top-Act) Fernando Vasquez zu hören gewesen sind. (Ich weiß nicht, was die anderen Musiker bekommen haben, doch hat meine Gage genau null DM betragen, weil keine genügende Anzahl von Eintritt zahlenden Zuschauern dagewesen sein soll.)
Das nächste Motte-Festival sollte bereits einen Monat später in Mülheim stattfinden, und diesmal hatte ich sogar einen richtigen Vertrag bekommen, der mir tatsächlich Geld garantierte – doch wurde es leider wieder nix damit, weil das Ganze nur einen oder zwei Tage vor Beginn von Motte noch (ohne Angabe von Gründen) wieder abgesagt wurde. Keine Ahnung, was da schiefgelaufen war.
Ich kann aber auch von einer finanziell zufriedenstellenderen Geschäftsbeziehung mit Motte berichten. 1973 gab es in meinem Zimmer (das restliche Inventar bestand aus auf dem Boden liegenden Matratzen, einem Sessel mit abgesägten Beinen, einem kleinen Schreibtisch und einem schmalen Bett), auch eine vormals meinen Großeltern gehörende kleine zweisitzige rote Couch, die Motte so gut gefiel, daß er sie mir unbedingt abkaufen wollte, doch mochte ich sie nicht hergeben. Aber Motte blieb hartnäckig, ließ nicht locker und nervte mich monatelang bei jedem Besuch auf’s neue, bis ich eines Tages erwiderte, daß die Abgabe dieses Möbels ja auch deshalb schon nicht möglich sei, weil dann eine leere Ecke in meinem Zimmer zurückbliebe. Doch ließ Motte sich auch davon nicht entmutigen und erhöhte sein altes 50-DM-Angebot spontan auf 50 DM plus 3 Matratzen. Und so akzeptierte ich den Deal schließlich, um endlich auch Ruhe vor dem ewigen Bedrängt-Werden zu haben.
Was für eine Musik hat Motte eigentlich gern gehört? Ich weiß nur, daß er ein großer Beatles-Fan gewesen ist. Und als er einmal mitbekam, daß ich die Beatles-Platten aus der ersten Hälfte der 60er Jahre kaum kannte, schenkte er mir zu Weihnachten ein paar Audiocassetten, um diese Wissenslücke auffüllen zu helfen.
……….Und einmal traf ich Motte auf der Straße in Wanheimerort und er redete ganz begeistert von einer neuen Platte, die ich mir unbedingt sofort bei ihm zu Hause anhören müsse, und so kam ich 1976 zum ersten Mal mit der Musik von Queen in Berührung: Bohemian Rhapsody.
D E R O T Z V E R L A G
Im April 1977 war schließlich [nach einem zuvor gescheiterten Für-lau-Vervielfältigungsversuch im Jahr 1974] doch noch mein zweites Prosabuch „Wieder ein echter Pelikan oder Wie ein echter Pelikan oder Wie echt, Pelikan oder Echt Pelikan oder“ herausgekommen, und zwar im Duisburger OTZ Verlag – was sich einerseits toller anhört als es ist (weil es gar kein richtiger Verlag war), andererseits aber genau so toll, wie eine spontan geborene und entschlossen in die Tat umgesetzte Idee es verdient hat.
……….Im Herbst 1976 hatte ich einem meiner neuen Eschhausbekannten gegenüber mal erwähnt, daß ich nicht nur englische Songlyrics schreiben würde, sondern auch noch einige deutschsprachige Prosatexte in der Schublade hätte, die für einen normalen Verlag jedoch völlig ungeeignet seien, während ich selber keine Mittel besäße, um die Sachen auf eigene Faust herauszubringen [da es sich mittlerweile auch nicht mehr um (wie bei meinem ersten Büchlein noch) nur 30, sondern inzwischen fast schon 100 Seiten handelte]. Dann laß uns doch einen eigenen Verlag gründen und das Buch selber drucken, schlug Rammi vor. Ich habe kein Geld, betonte ich noch einmal. Ich auch nicht, erwiderte Rammi, aber mit der Hilfe des OTZ Konzerns wird das schon irgendwie gehen. Also erkundigte er sich, wer irgendwelche Beziehungen zu einem Drucker hatte – und nach einem fehlgeschlagenen ersten Versuch im November ’76 und einer heimlich bei Thyssen gedruckten (jedoch von einem Bonzen entdeckten und sogleich konfiszierten) ersten Auflage im Februar ’77 brachte eine andere Geschäftsverbindung im März (im Tausch mit vom Konzern vorgeschossenen 140 DM) endlich einen großen Stapel einseitig bedruckter Blätter ins Haus, die in einer kurzfristig angesetzten Wochenendaktion von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des OTZ Konzern/Kollektivs in Rammis Dachbodenraumzimmer auf zwei Tapeziertischen zu 111 verschiedenen Einzelbuchseitenpäckchen sortiert und anschließend einhundertmal zusammengelegt wurden, wonach Rammi in den folgenden zwei Wochen dann damit beschäftigt war, die gesamte Buchauflage von 100 Exemplaren in Einzelleistung herzustellen, indem er jede der 111 Seiten dicken Blattsammlungen in einen Schraubstock spannte und mittels einer selbstentwickelten Klebetechnik in Buchformate brachte.
Und auch in diesem meinem zweiten Buch hatte Motte die Ehre eines Auftritts:
……….In der Zeit des erwachenden Frühlings, wenn die Lebensgeister sich zusammenschließen um Triumph über den Winter zu halten, mag man sich vorstellen, wie ein angehender Fußballschiedsrichter Tag für Tag seinen Waldlauf abhält, um bei späteren Fouls in die Hacken der den Überholvorgang schon beendet Habenden mit sicherer Lunge einen erst durch richtiges immer zur Stelle sein möglich werdenden Ahndungs-Pfiff ausstoßen zu können.
……….Der Wald ist wieder leer, denn Motte ist vorbei und aus und Ausz ist noch lange nicht dran.
……….[A.S.H. Pelikan, 1975]
……….Anmerkung 1: Motte ist Fußballfan gewesen und hat in den 70er Jahren auch einen Schiedsrichterschein gemacht, für den er sich unter anderem mit täglichen Waldläufen fit hielt.
……….Anmerkung 2: Vierzig Jahre später berichtete ich auf meiner Webseite von einem kürzlich um den „Carl Korte Cup“ ausgetragenen Fußballspiel zwischen Duisburger Journalisten und Duisburger Musikern [Motte ist ja beides gewesen], bei dem auch ein „wegen eines Bandscheibenvorfalls von einem Drehstuhl im Mittelkreis aus operierender Schiedsrichter“ erwähnt wurde, bei dem es sich, wenn auch unausgesprochen, um niemand anderes als Motte handelte, der damals schon ziemlich kränklich und überhaupt nicht mehr gut zu Fuß war.
……….Dieses besondere Fußballspiel hat allerdings nur in meiner Phantasie stattgefunden, doch hätte Motte [der davon wahrscheinlich nichts mitbekommen hat, da er in seinen letzten Jahren ohne Computer und ohne Internet lebte] meinen Beitrag bestimmt gemocht, weil schräge und spinnerte Ideen zu haben ja das Hauptband gewesen ist, das uns in den 70er Jahren verbunden hat.
In meinem zweiten Buch war aber auch noch ein Gedicht abgedruckt, das besondere Erwähnung verdient, weil ich es
……….a) in Mottes Zimmer verfaßt habe, während er selbst es war, der
……….b) den Tee kredenzte und
……….c) zur poetischen Inspiration Klavier gespielt hat.
……….Noch einen Tee?
Noch einen Tee, noch ein Täßchen?
wurd ich gefragt
warum nicht
und noch ein Schüßchen Milch hinein
dann wird der Tee wohl richtig sein
hab ich gesagt.
Und während das Klavier erklingt
der Pelikan die Feder schwingt
um mit grüner Farbe aufzumalen
daß der Tee ihn doch würd laben
obwohl es ja doch schwarzer ist
den der Gaumen schmeckt, die Lippe küßt
den Tassenrand der Tasse, welche noch
vor kurzer Zeit nach Tee arg roch
derweil Inspirationen flossen
der Tee doch ward hinabgegossen.
Noch einen Tee, noch ein Täßchen?
wurd ich gefragt
warum nicht, hab ich gesagt.
……….[A.S.H. Pelikan, 1974]
Der OTZ Verlag hat übrigens keine Autorentantiemen gezahlt, weil es ihm um das Herausbringen von Büchern ging und sämtliche Einnahmen sogleich wieder in das nächste Projekt gesteckt wurden, was im selben Jahr (1977) dann auch noch das Erscheinen der folgenden Produkte möglich gemacht hat: Die Prosa-Anthologie „Duisburg City Poetry All Stars“, das „Songbook“ von A.S.H. Pelikan (mit 25 Liedertexten) und den aus 13 DIN-A3-Blättern bestehenden OTZ-Kunstkalender. Letzterer bot für jeden Monat des neuen Jahres eine Zeichnung von OTZ-nahen Personen und Duisburger Künstlern (wie Willi Kissmer z.B.) und inspirierte Motte zu folgendem hübschen Text:
Montags schreib’ ich ein Gedicht
dienstags mach ich Demo-Bänder
das vergeß ich sicher nicht
denn es steht im OTZ-Kalender
Mittwochs bring ich Geld zur Bank
donnerstags schellt dann der Pfänder
und ich stell’ mich einfach krank
das steht auch im OTZ-Kalender
Freitags kommt ’ne Disco-Schau
irgendwo im Rundfunksender
oh, das merk ich mir genau
schreib’s mir in den OTZ-Kalender
Samstags mach’ ich einen drauf
geb’ mich dann als Lustverschwender
der Termin steht felsenfest
rotmarkiert im OTZ-Kalender
Sonntags schenk ich meine Gunst
gern dem Klange einer Fender
und betrachte Bilderkunst
die steht auch im OTZ-Kalender
O wie Orgie, T wie Trick,
Z wie zwischendurch ’n Ständer
jedes Jahr bringt neues Glück
mit dem großen OTZ-Kalender
Im „Kalender“-Jahr 1978 sind neben einem Comicband von Schnuff auch noch drei weitere OTZ-Bücher erschienen, darunter auch „Heiße Haut“, die erste Liedertextsammlung von Motte [hätte davon noch jemand ein Exemplar für mich?], die ich von all seinen Songbüchern [bis 1992 hat er deren fünf mit insgesamt 151 selbstgedichteten und 8 übersetzten Musikversen veröffentlicht] am liebsten habe, weil es auch Texte aus den frühen 70er Jahren enthält, die ich schon lange kannte, da wir junge Autoren uns häufig gegenseitig unsere neuesten literarischen Ergüsse vorzutragen pflegten. Hier mein Mott’scher Lieblingstext aus jenen Tagen:
……….Kiese in der Grube
Bärenbeißer Zähnefleisch
gewunderte im Honigtau,
Silbermann, der Freudenlose,
schwimmt im Gras der frühen Jahre,
böllert aus der Luft hernieder:
Tannenzapfens Wolkenmüll.
Kiese geistert durch die Wiese,
leise,
bis ein Loch ihn fängt.
Bärenbeißer zögert,
bis der Silbermann ihn drängt,
Kiese doch herauszuknabbern
und das Loch dann zuzubaggern,
mit den breiten Bärenscheren
dürfte das nicht lange währen.
Dieser aber weigert sich
und er spricht: Ich weiger’ mich,
Kiese da herauszuknabbern
und das Loch dann zuzubaggern,
weil der Kiese letztes Jahr
schon einmal da unten war.
Ach, was hab ich da geackert,
hab’ den Kiese rausgeknabbert,
hätt’ das Loch gern zugebaggert,
doch der Kiese hat gejammert:
Laß mir meine grüne Wiese
mit dem Loch,
das brauch ich noch!
Und so sitzt der gute Bube
Kiese jetzt in seiner Grube,
geistert nicht mehr durch die Auen,
lebt im Loch,
will Gras anbauen
und so lange wachsen hören,
bis das Loch wird nicht mehr stören,
weil das Gras es nun bedeckt,
Kiese neue Streiche heckt,
wieder durch die Wiese geistert,
leise, bis ein Loch ihn fängt.
……….[September 1972]
Als die Aktivitäten des OTZ Verlags auch andere Konzernzweige [wie die OTZ Motorradabteilung (die an Rennen auf dem Nürburg- und Hockenheimring teilnahm) und die OTZ Musikproduktion (die 1977 und ’78 ein jeweils dreitägiges Musikfestival im Eschhaus auf die Beine stellte)] aufblühen ließen, haben schließlich alle zwei Wochen dienstags im Eschhaus [wenn die Pforten für den normalen Besucherverkehr geschlossen waren] auch noch unsere Konzern-Sitzungen stattgefunden, bei denen alle OTZler und Sympathisanten willkommen waren und wo über laufende Aktivitäten und zukünftige Pläne geredet wurde, und auch Motte ist fester Bestandteil dieser das komplette Jahr 1978 hindurch stattfindenden Treffen gewesen.
……….1979 ging die glorreiche OTZ-Zeit dann leider doch schon ihrem Ende entgegen [nur noch zwei Bücher in diesem Jahr und auch kein drittes OTZ Festival mehr], weil viele Mitarbeiter nach bestandenem Abitur zum Studieren in die Welt hinauszogen oder einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen begannen und sich deshalb um anderes zu kümmern hatten. Doch diese drei Jahre sind wirklich bemerkenswert gewesen und haben (neben noch zwei kleinen Lexika und dem schon erwähnten Comic und Kalender) insgesamt acht OTZ-Bücher hervorgebracht: fünf von Motte und Pelikan, einen Gedichtband von Kalle Burandt und zwei Anthologien mit Beiträgen von ausschließlich Duisburger Autoren.
[Zur OTZ Bibliographie]
Den OTZ-Namen haben danach vor allem Rammi und ich noch hochgehalten, indem Rammi in den 80ern seine bis heute existierende Firma Otztronics [Entwicklung, Herstellung und Serviceleistung im professionellen Audiobereich] aufbaute, ich 1982 noch ein weiteres OTZ-Buch auf den Markt brachte [„Herzlichen Glückwunsch“], die OTZ Musikproduktion in Pelikan/Rammi-Zusammenarbeit im neuen Jahrtausend sechs Pelikan-CDs fertigstellte [an der siebten („Im Bann der Subdominante“) wird aktuell gearbeitet] und Rammi sein „One Tone Zone Studio, Kerken“ [die Anfangsbuchstaben ergeben OTZ] aus der Taufe hob.
……….Und Motte hat in den 90ern noch drei Songbücher im sogenannten M-OTZ-Verlag veröffentlicht.
I M M I T T E L P U N K T
Im Frühling 1978 war ich auf die Idee gekommen, als Sandwich-Man der Duisburger Bevölkerung ein frohes Pfingstfest zu wünschen. Da ich den Plan aber nur zu zweit verwirklichen konnte, bat ich Motte, der für schräge Ideen eigentlich immer zu haben war, um Mithilfe, und so sind wir am Pfingstsonntag durch die Innenstadt gelaufen: er an meiner linken Seite mit „Pfingsten“ auf der Brust und „Frohe“ auf dem Rücken, während es bei mir genau andersherum war.
Motte ist ziemlich verrückt und exzentrisch gewesen, und er liebte es, im Mittelpunkt zu stehen oder zumindest aufzufallen – und übersehen worden sind wir beide von den Passanten bei unserem Pfingstspaziergang bestimmt nicht. Aber aufzufallen ist nicht nur für Motte wichtig gewesen, sondern auch für mich; denn ich bin (auch wenn man es nicht vermuten würde) als junger Mann ein ziemlich ängstlicher und eher selbstbewußtloser Zeitgenosse gewesen, der seine Unsicherheiten vor allem hinter seinem Künstler-Image zu verbergen versuchte – und vielleicht sind Mottes Beweggründe ja ähnlich gelagert gewesen und er hat sein Das-Licht-der-Öffentlichkeit-Suchen auch deshalb mit solcher Leidenschaft betrieben, um so seine (ihn sein Leben lang begleitende) Einsamkeit zu übertünchen, die auch in nachfolgendem Text recht deutlich erkennbar wird:
……….Lied an die (T)Räume
Meine Kammer ist leer, doch ich bin nicht allein, neben mir steh’n ein Tisch und zwei Schränke, auf dem Boden liegt ärmlich das Bein eines Stuhles herum und bedrohlich wanken die Wände.
……….Fenster und Türen sperrangelweit offen, frischer Farbgeruch schleicht sich hinein, treibt mich hinaus, ohne daß ich’s will. Natürlich ist im Garten mal wieder was los. Keiner da, und die Tiere steh’n kopf. Auf der Suche nach Leben find ich ’nen Vogel unter’m Bett, da hat ihn die Katze gerupft.
……….Am Abend allein vor dem Mikrophon, auch im leeren Saal leben Stühle, da sitzen Leute mit Ohren herum und ich treibe mit ihnen meine Spiele, doch sie verstehen keinen einzigen Ton. Und wenn sie dann gehen, befreit und zufrieden und der Saal ist leer, doch die Stühle zerschlagen, dann sammle ich einige Beine auf, um sie nach Hause zu tragen.
……….[ca. 1978]
Was Motte zeitlebens gefehlt hat war ein Freund. Ich meine jetzt keinen Sexualpartner, sondern einen wirklich guten besten Freund, dem man tiefe persönliche Gedanken anvertrauen konnte. Ich selbst bin auf diesem Gebiet allerdings auch kein Experte gewesen und habe jahrzehntelang mit einigen „unaussprechlichen“ und schwer lastenden dunklen Geheimnissen zugebracht, die ich immer zu verdrängen versuchte, ohne sie dadurch aber wirklich loswerden zu können. Erst im Alter von über 60 habe ich meinem besten Freund und meiner besten Freundin schließlich davon erzählen können, was ich – auch mit solch zeitlicher Verspätung noch – als große Erleichterung empfunden habe. Aber so weit ist Motte, wie ich denke, nie gekommen.
Motte ist ohne Vater aufgewachsen, während ich zwar einen Vater hatte, diesen aber nie wirklich zu lieben vermochte und auch von seiner Seite her keine richtige Liebe gespürt habe. Von unseren Müttern sind Motte und ich dafür umso mehr verhätschelt worden, was mir allerdings (wie ich als junger Erwachsener noch leidvoll erfahren sollte) überhaupt nicht gut getan hat und was auch für Motte keine optimale Vorbereitung für eine Entwicklung zu einem fest im Leben stehenden glücklichen Menschen gewesen sein dürfte.
……….Kunst ist für uns beide ein vermeintlicher Ausweg aus der unsere Seelen vergiftenden Isolation gewesen, doch hat Motte leider dazu geneigt, seine musikalischen Talente etwas zu überschätzen, was ihn im Laufe der Zeit immer mehr in die Ecke eines unverstandenen Einzelkämpfers manövriert hat. Doch zu Ende der 70er Jahre hat der Traum vom großen Erfolg bei ihm noch absoluten Bestand gehabt.
Neben der in Mottes und meinem Künstlerleben fast gleichlaufenden Entwicklung des Ein-Instrument-Erlernens, Eigene-Lieder-Komponierens und Prosatexte-und-Songbücher-Veröffentlichens ging die Parallele auch bei unserer jeweiligen ersten Musikgruppe mit eigenem Liedmaterial weiter: „Mottes Meute“ (1978/79 und – in neuer Besetzung – 1981) und Pelikans „Al and The Hollywood Rats“ (1981 bis ’83). Wobei Motte deutlich früher schon (1978) auf sein Hauptinstrument (Keyboards) verzichtet hat, um nur noch als singender Frontmann in Erscheinung zu treten, während ich mich erst in meiner 1985 gestarteten Nachfolgeband „Al und die Hollywood Rats“ [mit komplett neuen Mitstreitern und erstmalig auch deutschen Texten] ohne mein Instrument (Gitarre) auf der Bühne zeigte und ebenfalls nur als Sänger agierte, um mich darin [– Motte und ich sind ja beide keine geborenen Vokalisten gewesen und haben vielleicht nur deshalb zu singen begonnen, weil die selbstkomponierten Lieder es verlangten oder nahelegten –] zu üben und zu verbessern.
Motte hat sich für ein Publicity-Foto seiner Band mal die Haare blond gefärbt und die Augenbrauen abrasiert (was wirklich sehr seltsam aussah), und als meine „Duisburg City Rock ’n’ Roll All Stars“-Coverband im Sommer 1978 zwei Wochen lang in der Gegend von Marburg tourte, verteilten wir an die Veranstalter auch das Mottes-Meute-Infoblatt, und angesichts des oben erwähnten Fotos meinte einer: Die Jungs sind bestimmt teuer. Das Foto hatte seine geplante Wirkung also nicht verfehlt.
……….Den größten Auftritt in Duisburg hat Mottes Meute wahrscheinlich bei dem Open-air-Festival im Kantpark am 10. Juni ’78 gehabt (bei dem neben weiteren Bands auch meine „All Stars“ gespielt haben). Und von diesem Motte-Event gibt es sogar einen dreieinhalbminütigen Filmmitschnitt.
……….Titel: Motte im Park. Kamera: Helmut Loeven. Originalformat: Super 8 (seit 2009 auch als DVD mit einigen anderen Loeven-Kurzfilmen zusammen in Helmuts „Buchhandlung Weltbühne“ zu bekommen). Farbe: ja. Ton: nein (denn Super-8-Filme besaßen nun mal keine Tonspur).
……….Und Motte bewegt sich auf der Bühne mit dem Mikrophon in der Hand auch sehr filmtauglich, während seine Bandmitglieder ihn teils erstaunt, teils amüsiert beobachten, denn so überdreht (um auch ein paar professionell wirkende Posen für den von ihm bestellten Fotografen zu kreieren) hatten sie ihn live wahrscheinlich noch nie agieren sehen.
……….Meine liebsten Filmmomente sind aber die, in der die Kamera mal von der Bühne wegschwenkt und fünf Sekunden lang der gerade dort entlangschlendernden Frauke folgt.
Frauke hat damals im Eschhaus hinter der Theke gearbeitet [eine bessere und coolere Thekenkraft hat der Laden nie gesehen!] und ist nur zwei Wochen später meine Geliebte geworden. Und weitere zwei Wochen später bin ich mit den „All Stars“ auf die schon erwähnte kleine Marburg-Tournee gegangen. Und weil die Liebe zu dem Zeitpunkt noch ganz neu und die Sehnsucht nacheinander noch unendlich groß war, ist diese zweiwöchige Trennung nur schwer zu ertragen gewesen, und so habe ich ihr alle zwei Tage oder so einen Brief geschrieben. Das Problem war nur, wohin ich die Post senden sollte, da von unserem Verhältnis niemand wissen durfte, weil Frauke verheiratet war und ihr Mann im Eschhaus – obwohl selten anwesend – auch kein Unbekannter gewesen ist. Und da half mir Motte aus der Klemme, der sich bereit erklärte, für mich den Liebesbriefträger zu spielen, indem ich die Briefe an ihn adressierte und er sie abends im Eschhaus heimlich an Frauke weitergab. Ich habe ihm dabei vollkommen vertraut, und er hat auch nie ein Sterbenswörtchen über diese Liebesbeziehung, die ja absolut verboten war, ausgeplaudert. [Das hat später dann eine gute Bekannte von mir, die mein Verhalten offenbar nicht tolerieren mochte, getan und Nachricht über das Pelikan-Frauke-Verhältnis dem Ehemann zugetragen.]
{Erst nach der Erstveröffentlichung dieses Beitrags eingegangene Information, die mir Birgit Quentmeier von den “Flowerpornoes” hat zukommen lassen: “Ich habe 1978/79 im Eschhaus einen Klavierkurs bei Motte gemacht. Ich war damals noch in der Musikschule, aber da wurde nur nach Noten gespielt und das ging mir irgendwann auf den Geist. Motte hat mir beigebracht, Songs mit Akkorden zu begleiten und auch etwas zu improvisieren. Hat also sozusagen bei der Grundsteinlegung meiner ‘Rockmusikerinnenlaufbahn’ mitgewirkt.”}
D E R W O R T M E N S C H
Motte und ich sind außer Tontransporteuren vor allem Sprachreisende gewesen, und ich habe viele seiner frühen Wortschöpfungen sehr gemocht. Seine Pseudonyme Manuela Männlich und Gloria Grantig-Grauh (die angeblich ein Automobil der Marke „OTZ Stöhnwind, Modell Machmir 1“ chauffiert hat) zum Beispiel, oder seine Erfindung des Wortes „pelikanesisch“ (1981), das ich sogleich adoptiert und später noch zu dem Begriff „Pelikanesien“ (für meine Wohnung) erweitert habe. Und auch Texte wie dieser hatten es mir angetan:
……….Hoffnung
Beim Frühstück Samstagmorgen war’s,
ich hatte grad’, noch unrasiert,
ein Ei gepellt, nahm Salz nach Maß,
als ungestüm die Klinge schellt’.
In Eile ließ ich das Frühstück steh’n,
um nach dem frühen Gast zu seh’n.
Sie war eine Dame, trug Jeans und sah aus
und machte sich einen Spaß daraus,
mich durch Fragen zu verwirr’n,
wie dieser: Haben Sie ein Gehirn?
Ich hatte noch eins auf dem Fernseher ruh’n,
in Säure war es konserviert,
seit Jahren hatte es nichts mehr zu tun,
und die Windungen waren mit Staub garniert.
Auf Verlangen habe ich’s angemacht,
und siehe da: es hat gedacht.
Doch die Dame war völlig außer sich,
denn die Weiblichkeit, die duldet es nicht,
für den Notfall Gehirne instand zu halten,
doch weil ich sie liebte, habe ich ihr
mein Gehirn überreicht mit Plaisir,
ohne es wieder auszuschalten.
Denn ich schwärme für Damen mit Esprit,
für ihre Wärme, für ihre Knie.
Diese nette Gehirneinsammlerin
mit Damenbart und Doppelkinn
gewährte mir diskret ’ne Offenbarung –
aber wie’s so oft im Leben geht,
auch wenn man sich sehr gut versteht,
ist sie heut’ für mich nur noch Erfahrung.
Seitdem sitz’ ich täglich in Cafés
bei schwarzem Tee, Gebäck und les’
Kontaktanzeigen in den bunten Blättern –
was wär der ganze Liebesmarkt
von Pubertät bis Herzinfarkt,
wenn man die große Hoffnung
nicht mehr hätte?
Mit dieser Erkenntnis bin ich froh
zum Trödelmarkt gezogen,
am Stand habe ich hoffnungsvoll
die Hoffnung angeboten:
für den Genossen Wandelmann
die Hoffnung auf Veränderung,
und für den Pfarrer nebenan
die Hoffnung auf das Christentum,
für meine gute Oma Frisch
die Hoffnung auf den neuen Plüsch,
und für den Dackel Dagobert
die Hoffnung, daß er sich vermehrt,
und für den Bundeskanzler Schmidt
die Hoffnung auf den Staatsprofit,
und für den Unternehmer Kraus
die Hoffnung auf Franz-Josef Strauß.
Die Hoffnung für den Einzelnen,
Hoffnungen für die Masse,
im Sortiment führ’ ich die große
Hoffnung ohne Klasse.
……….[April 1974]
Motte hat in einer Welt aus mitunter recht skurrilen Gedanken gelebt, und wenn du ihm irgendwas erzähltest, schlug er häufig einen Assoziationsbogen zu etwas ganz anderem, auf das du nie im Leben gekommen wärst. So brachte er auch jede Unterhaltung mit Leichtigkeit auf eine Mott’sche Ebene, was allerdings auch ziemlich ermüdend sein konnte, wenn er ständig die Gesprächsführung zu beherrschen versuchte. Er hat definitiv lieber sich als andere reden gehört.
……….Und weil Schreiben ja irgendwie auch eine Art von Reden ist, wundert es mich nicht, daß Motte sich – weil es mit der Karriere als Musiker nicht so klappen wollte – schließlich dem Journalismus zugewandt hat, dem er von 1979 bis mindestens 1985 (als freier Mitarbeiter der NRZ Duisburg) und von mindestens 2002 bis mindestens 2012 (als freier Mitarbeiter der NRZ/WAZ-Lokalredaktion Rheinhausen) treu geblieben ist.
……….Motte hat meines Wissens nie eine Berufsausbildung „genossen“ [eine weitere Parallele zwischen ihm und mir] {erst im Nachhinein erhaltene Information: Motte soll Verlagskaufmann gelernt haben}, und ich weiß nur sehr wenig über seine „Geldbeschaffungsmaßnahmen“. In den frühen 70ern ist er mal einige Monate Briefzusteller in Düsseldorf gewesen, und in den späten 80ern und/oder frühen 90ern hat er ein paar Jahre in einer Düsseldorfer Werbeagentur gearbeitet. Sonst weiß ich nur von seiner Tätigkeit bei der Tageszeitung, für die er vor allem Artikel über lokale Sport- und Musikereignisse geschrieben hat.
……….Von 1979 bis (mindestens) 1981 betreute er dort auch die Rubrik „Was hört man aus der Szene?“, in der beispielsweise so „wichtige“ Nachrichten wie diese gebracht wurden:
……….„Lizard Music haben sämtliche Konzerte abgesagt, weil ihr Mischpult-Techniker nach einem Verkehrsunfall im Krankenhaus liegt“,
……….„ein Agent einer Plattenfirma soll sich zu Kontaktgesprächen bei Alma Ata angesagt haben“,
……….„Baßist und Keyboarder von Shaa Khan sind gerade noch rechtzeitig für einen Auftritt ihrer Band wieder fit geworden, nachdem sie Beschwerden mit Kiefer und Nieren hatten“
……….und so weiter. Es mußte sich also wirklich nicht um Weltbewegendes handeln um wert zu sein, in diese Kolumne aufgenommen zu werden. Hier noch ein Beispiel aus dem Jahr 1980:
……….A.S.H. Pelikan, Gitarren-Desperado der Duisburger Rockszene, war bisher immer froh, auf der Straße nicht erkannt zu werden. So verwechselte ihn manch unkundiger Rocklaie höchstens mal mit Peter Bursch. Das muß jetzt anders werden. Ein eifriger Pelikan-Fan gründete deshalb den „A.S.H. Pelikan-Fanclub“, der Bücher-, Platten- und Autogrammwünschen nachkommt sowie über Lesungs- und Konzerttermine des Musikers und Schriftstellers informiert. Anschrift: …
……….… und dann folgten Name, Adresse und Telefonnummer meines damaligen Schwagers Wowa, der es durchaus erst damit meinte. [Bis heute hat sich allerdings kein einziger Fan aufgrund dieses Artikels bei ihm gemeldet.]
Motte ist auch noch an zwei weiteren lokalen Zeitungsserien beteiligt gewesen. 1981 in Eigenverantwortung an „DU-Bands der 70er“, und 1985 mit Kalle Burandt zusammen an „Yeah! Yeah! Yeah! – Als der Beat nach Duisburg kam…“.
……….Motte hat seinen Job manchmal aber auch deutlich zu lasch gehandhabt. Einmal rief er mich nach einem Konzert, das ich mir im Eschhaus angesehen hatte, an, um zu fragen, wie es denn gewesen sei, und zwei Tage später konnte ich meine Worte als seine Konzertkritik beim Frühstück lesen.
……….Oder im neuen Jahrtausend: Als Motte für die NRZ/WAZ Rheinhausen arbeitete, fiel es auch in seinen Bereich, zu Beginn eines neuen Semesters auf vom Arbeitsstellenleiter der Volkshochschule ausgewählte Kurse im Duisburger Westen hinzuweisen, wobei er mehrfach so schlampig mit den Kurs- und Telefonnummern umgegangen ist, daß die falsch wiedergegebenen Zahlen uns [ich war damals (und bin es noch heute) Kursleiter in jener Region] eher geschadet als genützt haben.
……….Allerdings hat er auch viele sehr gute Artikel verfaßt, die gekonnt formuliert waren und das Wesentliche präzise auf den Punkt brachten – denn für Worte hat er wirklich ein Händchen gehabt.
D A N A C H
Meine kumpelhafte Zeit mit Motte sind die 70er Jahre gewesen. Danach nahm der Kontakt doch deutlich ab.
……….Am 2. April 1981 haben wir beide zum letzten Mal (nachdem ich bei drei früheren Gelegenheiten bei einem seiner Songs mal kurz mitgewirkt hatte) gemeinsam auf einer Bühne gestanden. Motte hatte die Idee, die drei Duisburger Liedermacher Motte, Pelikan und Andreas Kliewer zu einem Konzert zu vereinen, bei dem (neben eigenen Solostücken) auch jeder mal mit jedem zusammenspielen sollte. Verschwiegen hatte er mir allerdings, daß er diese lose und einmalige Musiker-Zusammenkunft der Presse gegenüber doch etwas anders verkauft hatte, nämlich als „Das Aprilsch(m)erzkonzert der Duisburger Wetterschlußverkaufkapelle“, was ein richtig durchdachtes Konzept vorgaukelte, das es aber überhaupt nicht gab. Der Auftritt war dann insgesamt auch eher peinlich.
Ein oder zwei Jahre später hat Motte dasselbe Konzept noch eine Niveaustufe höher getragen und ein Konzertpaket mit den [im Gegensatz zu Kliewer und mir] auch außerhalb Duisburgs bekannteren Musikern Frank Baier und „Frank der Schwartenhals“ zusammen gebildet.
……….[Baier betont aber, daß der Umgang mit Motte eine negative Erfahrung gewesen sei und er sich am Ende völlig von ihm distanziert habe.]
Von weiteren Motte-Konzerten in jenem Jahrzehnt ist mir nichts bekannt, so daß ich vermute, daß er seine musikalischen Aktivitäten irgendwann eingestellt oder nur noch im stillen Kämmerlein betrieben hat.
Die 80er Jahre sind auch die Zeit gewesen, in der er immer mehr von gesundheitlichen Problemen heimgesucht wurde und in der sein Körper (vielleicht auch aufgrund der vielen Pillen, die er sich damals einpfiff) irgendwie aufzuquellen begann.
……….Eines Tages überraschte er mich und meine Gäste, indem er uneingeladen auf meiner Geburtstagsparty erschien, und weil ich ihn aus alter Freundschaft nicht enttäuschen wollte, ließ ich ihn auch ein. Er blieb etwa anderthalb Stunden, trank die ganze Zeit über keinen einzigen Tropfen (während ansonsten fröhlich dem einen oder anderen Bier zugesprochen wurde) und war dennoch doppelt so gut drauf wie alle anderen und redete, redete, redete, redete und brach dann völlig überstürzt von einer Sekunde auf die andere wieder auf. Wir haben uns alle unser Teil dabei gedacht.
Im nächsten Jahrzehnt sollte es dann weiter bergab gehen. 1991 und ’92 hat Motte noch drei Songbücher mit 94 unveröffentlichten Liedertexten im Eigenverlag herausgebracht, von denen eines aber (wieder einmal) ziemlich zweifelhafte Coverkunst präsentierte: Ein Foto von zwei nackten, etwa 10jährigen Knaben, die ihre (im Bild retuschierten) Genitalien aneinanderdrücken, während auf der Rückseite eine Collage von zwei nackten Männerärschen mit einem ins Bild ragenden Kinderpenis zu bewundern ist. – Hat er sich als Werbefachmann eigentlich keine Gedanken über die eher verkaufshemmende Wirkung solch eines Covers gemacht? Oder hat die Auflage sowieso nur realitiv wenig Exemplare betragen? Oder hat er vielleicht schon nicht mehr wirklich gewußt, was er da eigentlich tat?
Etwa um diese Zeit herum muß auch seine Mutter gestorben sein, was für Motte einen gewaltigen Verlust bedeutet hat. Er blieb danach noch zwei oder drei Jahre in dem Haus auf der Gärtnerstraße wohnen (das er zuerst noch zu renovieren begonnen hatte, bis es zu einer Art wohnwüstiger Großbaustelle verkommen war), bevor er schließlich den Rat eines Bekannten annahm und die Bude einfach verkaufte.
……….Anschließend zog er in eine Mietwohnung nach Hochfeld, für die er sich unter anderem einen (wie er mir voller Stolz berichtete) 2000 DM teuren Fotokopierapparat anschaffte, und weil er ja jetzt ein gutbetuchter Mann war, fuhr er bei Bahnreisen fortan nur noch 1. Klasse.
Im November 1995 hatte ich einen recht gut besuchten Auftritt im Steinbruch, bei dem auch Motte anwesend war, der mir hinterher mitteilte, daß er sowas auch könne und die Zeit nun – nach einigen bühnenlosen Jahren – reif sei für sein Comeback. Dieses fand dann im folgenden Jahr (ebenfalls im Steinbruch) vor nur knapp 20 Zuschauern statt und war mit das Deprimierendste, was ich ich je zu hören und zu sehen bekommen habe [er trug neben ausgesucht ärmlicher Kleidung (bis auf die viel zu schicken Schuhe und Socken) auch eine Glatzenperücke]. Doch ließ Motte sich von der mageren Publikumsresonanz nur kurz aus der Fassung bringen und sprach nach diesem „Comeback“ nur noch von seinem kommenden großen Durchbruch – weil er felsenfest davon überzeugt war, richtig gut zu sein und nur alle anderen (mich eingeschlossen) einfach keine Ahnung hätten. Originalton Motte: „Was der Helge kann, kann ich auch.“
……….Ein Jahr später (1997) brachte er dann innerhalb weniger Monate zwei CDs mit insgesamt 29 eigenen Liedern heraus, auf denen er jeden Ton (mehrere Keyboardstimmen, einen Synthiebaß und eine Drumcomputerspur) mit einer Music Workstation [ein mit einem Computer gekoppeltes Keyboard] eingespielt, aufgenommen und abgemischt hatte – lediglich der Gesang war zum Schluß noch in einem professionellen Tonstudio hinzugefügt worden -, doch litt das Ganze im Zusammenklang der einzelnen Instrumente an solch unüberhörbaren Timingschwankungen, daß das Ergebnis für meine Ohren nur als ungenügend bezeichnet werden konnte.
Im neuen Jahrtausend hat Motte seinen Wohnsitz dann noch nach Duisburg-Rheinhausen verlegt und ist länger als 10 Jahre in der dortigen NRZ/WAZ-Redaktion als freier Mitarbeiter tätig gewesen. Er war wieder etwas dünner geworden, sah aber deutlich älter aus als er war, und nachdem er 2008 einen wirklich objektiven Artikel über das Erscheinen meiner ersten CD verfaßt hatte [– in einer weiteren Parallele hatte auch ich das mir nach dem Tod meiner Eltern zugefallene Erbe dazu benutzt, um endlich eine eigene Schallplatte zu fabrizieren –], vermochten wir auch wieder ein wenig miteinander zu reden; jedoch nur, wenn wir das Thema Musik dabei völlig außen vorließen.
In den 2010er Jahren habe ich Motte noch drei- oder viermal gesehen, jeweils in Helmut Loevens „Buchhandlung Weltbühne“. Er hatte auf seine alten Tage wieder mit dem Schreiben von Prosatexten begonnen [eine weitere Parallele zu mir], und zwischen Juni 2011 und Januar 2018 sind noch achtzehn seiner „Geschichten aus dem Leben eines Lokalreporters“ in Loevens Zeitschrift „Der Metzger“ veröffentlicht worden.
……….Motte war inzwischen – vielleicht auch aufgrund eines ca. 2013 erlittenen Oberschenkelhalsbruchs – alles andere als gut zu Fuß, doch habe ich ihn nicht ein einziges Mal darüber klagen hören. Er machte sich im Gegenteil sogar lustig über seinen ihn immer mehr im Stich lassenden Körper, war stets gut gelaunt und nahm offenbar alles sehr gelassen und mit viel Humor.
Das Sehnen ist vorüber,
die Illusion verging,
die Todeszelle ist nun mein Quartier.
Erlöst bin ich vom Fieber,
das den Verstand umfing,
die Würfel sind gefallen,
ich verlier’.
……….[Aus „Abschied“, ca. 1978]
Motte fuhr in diesen letzten Jahren recht häufig von Rheinhausen mit dem Bus zum eben mal ‘n Kaffee trinken nach Duisburg, oder mit dem Bus zu Helmuts Buchladen nach Neudorf, oder mit dem Bus zur Stadtbibliothek nach Buchholz. So ist er wenigstens noch mal rausgekommen aus seiner Bude und hat seine Einsamkeit etwas durchlüften können – ähnlich wie in meiner von irgendwem vernommenen Lieblingsanekdote: daß er sich über einen längeren Zeitraum hinweg jeden zweiten Tag bei einem Frisör in seiner Nachbarschaft hat rasieren lassen sollen. Wahrscheinlich, weil es einfach verrückt war, und um hin und wieder auch noch etwas Kontakt zum “normalen” Leben zu haben und sich in jenen Momenten ein bißchen weniger allein zu fühlen.
Die meisten Leute, die mit Motte zu tun gehabt haben, sind von seiner speziellen Art eher abgestoßen als angezogen worden, doch möchte ich selbst ihn trotz seiner unrühmlichen Seiten am liebsten als den so schön schräg schillernden Vogel in Erinnerung behalten, den er in den 70er Jahren so gekonnt verkörpert hat und der (in den Worten eines alten Weggefährten) auch in der nachfolgenden Momentaufnahme in vollem Glanze erstrahlt:
……….„Unvergessen auch sein spontaner Wildschwein-grün-Urschrei auf dem Duisburger Hauptbahnhof, langsam ansteigend bis zu einem alles vernichtenden Freudengeheul, einfach so!“
Duisburg, Mai bis Juni 2018