Über meine Zeit als Musiker in Berlin 1974

März 2014

Gestern ist mir mit einem Male bewußt geworden, daß es genau 40 Jahre her ist, daß ich mein erstes großes Raus-in-die-Welt-Abenteuer erlebt habe, als ich von Ende Januar bis Anfang April 1974 zum ersten Mal als Musiker in Berlin weilte. Damit ihr dieses für mich absolut prägende Ereignis aber etwas besser in den Zusammenhang der damaligen pelikanesischen Welt einordnen könnt, will ich euch zuvor noch kurz mit meinen wichtigsten Aktivitäten des Vorjahres vertraut machen.

Zu Beginn des Jahres 1973 war ich neunzehn Jahre und zwei Monate alt, spielte seit zweieinhalb Jahren Gitarre, hatte zwei Auftritte auf meinem Musiker-Konto und im Vormonat zum ersten Mal mit einer Frau geschlafen. Ich wohnte noch bei meinen Eltern (in Duisburg), hatte keinen Job (und wollte auch keinen) und verdiente überhaupt kein Geld, nutzte aber trotzdem jede Gelegenheit, um mal aus der Stadt rauszukommen, wie in den letzten Februartagen 1973 zum Beispiel, als ich nachmittags im “Pub” Harald Rausch traf, der mich fragte, ob ich mit nach Amsterdam fahren wolle. Peli: “Ich hab aber keine Knete”. Harald: “Kein Problem, ich hab genug”. Und so saßen wir – inklusive des ebenfalls noch kurzfristig hinzugekommenen Rainer Nowak – zwei Stunden später, nachdem ich meinen Schlafsack geholt und meinen Eltern Bescheid gegeben hatte, im Zug nach Amsterdam. Und dort blieben wir zweieinhalb Tage, übernachteten zweimal auf einem Schlafboot und hingen die übrige Zeit bei sehr trübem und ziemlich kaltem Wetter auf dem Damplatz rum, auf dem zu der Jahreszeit rein gar nichts los war. Um uns warm und einigermaßen bei Laune zu halten wurde pro Tag eine Flasche Whisky verkonsumiert, und dann ging’s wieder zurück nach Duisburg. Mitten im Winter mal eben so nach Amsterdam zu fahren war schon ‘ne ziemlich bescheuerte (aber in unseren Augen damals abgefahrene) Idee!

Anfang März ging’s dann – viel besser organisiert – über Karneval (weil der dort nicht gefeiert wurde) mit insgesamt 19 Leuten in eine Pension in Bergen aan Zee in den Niederlanden, was recht nett war. Abgesehen davon, daß ich unglücklich in die Freundin meines Musikerkollegen Harald Golbach verliebt war und wegen zu wenig Essens einmal heftig aus den Latschen gekippt bin.

Und im April mußte ich schließlich zur Bundeswehr, kam nach 17 Tagen (immer noch mit langen Haaren) aber (wegen angeblicher Schädigung durch Drogen [obwohl ich zu der Zeit tatsächlich nicht ganz richtig im Kopf war … aber hat sich das bis heute eigentlich geändert?]) erst mal wieder nach Hause. Bei der Nachmusterung anderthalb Jahre später versuchte ich dann, so zu wirken, als wenn ich (a) zu durcheinander für diesen Verein wäre, ohne (b) gleich in die Klappsmühle gesteckt zu werden, was mir offenbar auch gelungen ist, da ich an dem Tag für alle Zeiten als untauglich eingestuft worden bin.

Das im August 1973 aufgenommene Foto aus meinem ersten Reisepaß

Im August trampte ich (zum ersten Mal in meinem Leben weiter als 20 km) mit Ditz Hartung nach Südfrankreich, doch hatten wir es nach einer Woche erst bis Meran in Oberitalien geschafft, wo ich zwei Tage später mit dem Zug wieder nach Hause gefahren bin (weil ich in Duisburg Probleme mit einem Mädchen hatte und die klären wollte – “she’s got long henna-red hair and a crazy mind”), während Ditz alleine weiterzog und sein Ziel auch erreicht hat.

Im September war ich mit meinen Freunden Tom Altrogge und Helmut Luczak noch für zehn Tage auf Schiermonnikoog – und wenn ich mir meine heutige Reiseunlust ansehe, wundere ich mich schon ziemlich über meine vielen damaligen Aktivitäten, weil ich mich doch eher als ängstlich und nicht gerade vor Selbstvertrauen strotzend in Erinnerung habe. Doch mit 19 Jahren besitzt man auch noch eine gesunde Neugier und das starke Gefühl, es der ganzen Welt irgendwann mal [was genau auch immer] zeigen zu wollen, mit dem wagemutigen Herzen junger Eroberer. Denn wo kämen wir auch hin, wenn es nicht so wäre.

Und soviel in aller Kürze zum Thema Reisen, und nun zur Musik:

Ich machte 1973 insgesamt vier Auftritte (doppelt so viele wie im Vorjahr), darunter auch meinen ersten öffentlichen mit den Ausz-Musikern Tom Altrogge, Kalle Burandt und Lucky Ruhnau am 20. August vor der Mercatorhalle. Eine Woche zuvor hatte ich einen Brief von Lis, einer Bekannten aus Münchweiler (bei Pirmasens) erhalten, die mir vorhielt, daß ich mir doch endlich mal über meine Zukunft Gedanken machen und mir einen richtigen Job suchen solle. Mein Tagebuchkommentar dazu: “Ich will es aber jetzt wissen und will es schaffen, mit Musik meinen Lebensunterhalt zu verdienen.”

Nachdem im September und Oktober relativ wenig passiert war, überschlugen sich ab November dann – zwar nicht die Ereignisse, aber doch die Vorhaben und Pläne.

– Zuerst wollte ich mit meinem Freund Kansas zusammen eine gemeinsame Wohnung in Mülheim anmieten (keine Ahnung, wovon ich die Miete hatte zahlen wollen), bis Buddy, ein Kantpark-Kumpel, der im Sommer nach Berlin gezogen war, mal wieder zu Besuch in Duisburg weilte und mir Mitte November erzählte, daß ich in bezug auf Musik hier doch auf keinen grünen Zweig käme, während es in Berlin genug Kneipen gäbe, in denen man häufig spielen könne und wo einige Leute wirklich schlechter wären als ich. Also beschloß ich, mir im kommenden Jahr mal die Berliner Szene anzuschauen.
– Wenige Tage später gab es noch einen weiteren großen Plan. Die Oma eines Typen, die ein großes Haus mit riesigem Garten auf dem Land in der Nähe von Stuttgart bewohnte, war in ein Pflegeheim gekommen, und wir dürften dort mietfrei wohnen und wollten da eine Musiker-WG mit Tom, Kalle, Lucky (= drei Viertel der Band “Ausz”) und Pelikan plus vier weiteren Bekannten aufmachen (keine Ahnung, wovon wir zu Essen und Ersatzsaiten und ähnliches zu kaufen gedachten). Und wenn das mit der WG nicht klappen sollte, wollte ich auf jeden Fall nach Berlin gehen. Und wenn das mit Stuttgart erst im Frühjahr oder so klappen würde, wollte ich vorher nach Berlin gehen.

Ausz plus Pelikan, Mai 1977 (Foto: Schnuff)

– Am 24. November 1973 machte ich meinen insgesamt 5. Auftritt (im Vorprogramm von Ausz), bei dem ich zum ersten Mal mit meinem damaligen Duisburger Gitarrenhelden Willi Kissmer zusammenspielte.
– Am 2. Dezember fand mein 6. Auftritt im Vorprogramm von Alma Ata in Emmerich statt, was mir vor allem deswegen im Gedächtnis geblieben ist, weil wir über eine quasi leere Autobahn gebrettert sind, da dies einer der durch die Ölkrise bedingten autofreien Sonntage war, wir aber eine Sondergenehmigung bekommen hatten, weil der Drummer halt der Sohn des Oberbürgermeisters war.
– Danach stand schon das nächste Großprojekt auf der Matte: Ein einmonatiger täglicher Auftritt in einem GI-Schuppen in Heidelberg mit freier Unterkunft und Verpflegung und insgesamt 2000 DM Gage für jeden Musiker. Mit dabei sein sollten Siggi Kura (Moog-Synthesizer), Gerard Wiechert (Gitarre), Tom Altrogge (Geige), Lucky Ruhnau (Schlagzeug) und Pelikan am Baß (da Kalle gerade keine Zeit dafür hatte und man dachte, daß ein auf 6 Saiten spielender Gitarrist doch auch – a là Noel Redding bei Hendrix – mit 4 Saiten klarkommen müßte). Das Ganze sollte schon 10 Tage später starten, was kein Problem für mich war, da die Stuttgart-WG noch nicht akut war und ich Berlin sowieso erst im neuen Jahr in Angriff nehmen wollte. Aus dem Heidelberg-Gig ist dann aber (aus welchem Grund auch immer) doch nichts geworden, was vermutlich aber auch besser so war, denn mit nur improvisierter Musik von einer in keiner Weise eingespielten Band hätten wir wahrscheinlich niemanden verzücken können, wie der Auftritt der “Duisburg City Rock ‘n’ Roll All Stars” viereinhalb Jahre später im “Why Not” in Wetzlar vermuten läßt. Das war ebenfalls ein GI-Schuppen, und wir legten uns mächtig ins Zeug, indem wir für die überwiegend farbigen amerikanischen Jungs alle unsere Chuck-Berry-Nummern und so auspackten, was beim Publikum aber auf überraschend wenig Interesse gestoßen ist. Doch in dem Moment, als wir eine Pause machten und Musik vom Tonband aus den Boxen erschall, war die Tanzfläche auf einmal pickepackevoll und alle hatten jede Menge Spaß … bis wir unseren zweiten Set begannen.
– Aber zurück zum Dezember 1973, wo ich als nächstes in vier oder fünf Nächten die Geschichten für mein erstes Buch (das allerdings nur ein kleines Heft von etwa 20 kopierten Seiten war) verfaßte, das im Januar schließlich in fotokopierter Form in einer Auflage von 20 Exemplaren auf den Markt kam und den (langweiligen) Titel “4 Kurzbücher, 1 Lexikon und 1 Brief” trug. Und damit war die Basis für meine – neben der Musik – zweite künstlerische Tätigkeit gelegt worden: das Schreiben von Prosa, das inzwischen – 40 Jahre später – meine einzige kreative Leidenschaft darstellt, weil mich das Musizieren schon seit einigen Jahren kaum noch interessiert.
– Dann (immer noch im Dezember 1973) hatte die verhinderte Musik-Kommune – weil die Stuttgart-WG inzwischen leider auch vom Tisch war – den nächsten großen Meisterplan entwickelt. Pelikan sollte neuer Sänger bei Ausz werden, und Tom (Gitarre und Geige) und ich (Gitarre und Gesang) sollten “Scarabäus Zubiss” – unsere gemeinsame Band von 1971/72 – wieder aufleben lassen, mit Unterstützung von Kalle und Lucky an Baß und Schlagzeug, und das Ganze sollte Konzertveranstaltern als Doppel-Band-Block angeboten werden.
– Am 14. Dezember erhielt ich einen Brief von Buddy aus Berlin: “Also, du willst im Januar nach Berlin kommen? Kannst du! Habe gestern mit dem Manager vom Go-In gesprochen. Der sagte, du könntest, solange du in Berlin bist, jeden Abend dort auftreten, vorausgesetzt, du seist gut. Was du dabei verdienen würdest, kann ich dir leider nicht sagen. Aber du könntest davon leben. Außerdem könntest du in 2 Kneipen am selben Abend auftreten. Wo du hier pennen könntest, kann ich dir im Augenblick noch nicht sagen, aber da werde ich schon noch ‘nen geeigneten Platz für dich checken.”

Im Januar 1974 standen dann noch 2 Auftritte in Duisburg an (am 12. und 19., von denen der letzte aber ganz kurzfristig noch abgesagt wurde), und danach wollte ich dann endlich nach Berlin. Am 18. Januar bekam ich (zwecks DDR-Transits) meinen ersten Reisepaß, und auch mein “4 Kurzbücher, 1 Lexikon & 1 Brief”-Büchlein war an diesem Tag erschienen, und sechs Tage später setzte ich meinen Plan in die Tat um und fuhr am 24. Januar 1974 mit dem Zug nach Berlin. Ich hatte 360 DM in der Tasche, wollte mindestens 2 Wochen und höchstens 2 Jahre bleiben, und am Ende sind es 67 Tage geworden, in denen ich genau 68 Auftritte gemacht habe. Unglaublich, aber wahr!

Buddy hatte mich bei meiner Ankunft am Bahnhof Zoo abgeholt, und ich konnte die erste Nacht bei ihm pennen, die zweite dann bei einem Bekannten von ihm, und ab der dritten Nacht bin ich bei einem weiteren seiner Bekannten, einem Typ aus Duisburg namens Jürgen Klucken, den ich noch nie zuvor getroffen hatte, untergekommen. Das Problem bei Buddy und bei Jürgen war nur, daß sie jeweils zur Untermiete wohnten und dort keine Unteruntermieter beherbergen durften – aber dazu später mehr.

Am Tag nach menier Ankunft, einem Freitag, sind Buddy und ich ins Go-In gegangen – einer Musikkneipe auf der Bleibtreustraße 17 in der Nähe des Ku’damms -, und Jo Diekmann, der Manager, sagte, daß ich am Samstag, bzw. Sonntag morgen gegen 3 Uhr mal vorspielen könne, aber noch ohne Gage, und dann würden wir weitersehen. Ich bin an dem Freitag dann noch lange dageblieben, und die letzten Musiker fand ich wirklich sehr gut, die ersten allerdings doch eher uninteressant, so daß ich mir gute Chancen ausrechnete, einen guten Eindruck bei Jo und dem Publikum hinterlassen zu können. Bei meinem Debut am Sonntag morgen habe ich dann um 5 Uhr 20 als Letzter zu spielen begonnen, und weil es ja ein Vorspielen war, habe ich 9 Lieder präsentiert, während normalerweise nur 4 Songs plus eventueller Zugabe erlaubt waren, da ein Programmpunkt in der Regel nur 15 bis maximal 20 Minuten dauerte. Danach wurden dann ein oder zwei Lieder von einer LP gespielt, und dann kam der nächste Musiker auf die Bühne.

Die 9 Songs meines ersten Gigs (und insgesamt 8. Auftritts) in Berlin am 27. Januar 1974 in der Frühe waren:
1) I Got The Blues (war ein eigener Song, aber sonst weiß ich nichts mehr darüber)
2) How Much More (von J.B. Lenoir – den kann ich heute noch spielen)
3) Pelikan Is Back In Duisburg City From 17 Days Army Time (kann ich ebenfalls noch spielen, ist auch auf meiner “The Wizard of OTZ”-CD enthalten)
4) Ein improvisierter Blues in E
5) First Amsterdam Trip Song (irgendwas abgedrehtes in D mit tiefer gestimmter E-Baßsaite, wovon ich nur noch einen einzigen Riff kenne)
6) Voodoo Music (von J.B. Lenoir – den ich erst wieder einüben müßte)
7) Too Much Monkey Business (von Chuck Berry – da sind mir sogar noch die Worte zu ganzen Strophen geläufig)
8) Rag (ein eigener Song, den ich noch komplett auswendig kann und der auf meiner in einigen Monaten erscheinenden CD “Falsch abgebogen” zu hören sein wird)
9) Darktown Strutter’s Ball (ein inzwischen 95 Jahre alter Jazz-Standard, den ich ebenfalls noch spielen kann).

Jo war glücklicherweise recht angetan von meinem Vortrag und eröffnete mir, daß ich fast jeden Abend auftreten könne, wenn ich (a) mit einem Zehner als Gage einverstanden wäre und (b) auch immer als Letzter spielen würde, was kein Problem für mich darstellte. Und einen Tag später ging ich als Schluß-Act bereits um 2:30 Uhr auf die Bühne, und Jo zahlte mir eine Sondergage von 12 DM aus. Beim nächsten Mal gab’s dann wieder die vereinbarten 10 DM, danach wieder 12, und dann ist es bei diesem Sonderbetrag von 12 DM bis April geblieben.

Nachdem Buddy den Kontakt zu Jo vom Go-In hergestellt hatte, hat Jürgen mir dann managementmäßig noch ein wenig weitergeholfen (weil ich selbst einfach viel zu schüchtern war), und einen Tag nach meinem zweiten Auftritt im Go-In hatte ich dort frei (weil das Programm schon zu voll war), und so gingen wir in die anderen beiden Musikkneipen in der Gegend und Jürgen besorgte mir ein Vorspielen im Folkpub (auf der Leipnizstraße) für den kommenden Abend und das gleiche für den Steve Club (in der Krumme Straße) zwei Tage später. Anschließend gingen wir zum Go-In [alle drei Klubs lagen in Charlottenburg und waren bequem zu Fuß nacheinander abklapperbar], und als wir noch draußen vor der Tür standen, kam Jo raus, sah mich und sagte: “Du kommst wie gerufen, hast du warme Finger? Ich habe einen Ausfall und du kannst sofort spielen.”

Im Laufe meines 67tägigen Berlinaufenthalts habe ich insgesamt 53mal im Go-In auf der Bühne gestanden, 11mal im Steve Club (wo ich übrigens 15 DM bekam), 2mal im Folkpub und 2mal im Jugendzentrum Zehlendorf (da habe ich einmal umsonst und einmal für eine garantierte Mindestgage von 60 DM gespielt, auf die ich allerdings bis heute noch warte). Das Go-In ist meine Heimatbasis gewesen, wo ich fast jeden Abend – auch wenn ich nicht spielen sollte – herumhing, weil ein kurzfristiger Auftritt immer im Bereich des Möglichen war, und weil es immer toll war, anderen (vor allem besseren) Musikern zuzusehen. Am deutlichsten erinnern kann ich mich dabei an Darbietungen von Jesse & Joe (Jesse Ballard und Saxophone Joe Kučera, die später die “Paradise Island Band” mit Hans Hartmann und Tommy Goldschmidt gegründet haben), Sammy Vomáčka (der am 15. Februar 1974 im Go-In mal 6 Zugaben geben mußte) und Franz de Byl. Und einmal soll – während ich auftrat – auch Hannes Wader im Publikum gewesen sein und über den Musiker auf der Bühne verlauten lassen haben: “Das Bluesspielen sollte er aber besser lassen”. Und das ist für jemanden, der jeden Abend von Jo mit den Worten “und jetzt kommt Pelikan, unsere kleine Bluesmaschine” angekündigt worden ist, natürlich nicht gerade ein Lob gewesen, so daß ich mich, um das zu verarbeiten, in den nächsten Tagen hingesetzt und einen neuen Blues geschrieben habe: “Sometimes I wish I was a black man, a black man with a black man’s soul” [den Rest des Textes weiß ich nicht mehr, aber die Melodie habe ich immer noch drauf].

v.l.n.r.: Francis Serafini, Bob Williams und Dieter Bauer im Go-In-Backstageraum, März 1984 (Foto: Peter-M. Scheibner)

Die Bühne des Go-In ist ungefähr 2 x 4 Meter groß gewesen und besaß 4 Mikrophone und ein selten benutztes Klavier auf einer Seite. Gleich neben der Bühne ging die Treppe zu den Toiletten hinunter, und neben den Toiletten lag der Backstageraum, der auch nicht viel größer als die Bühne selbst war und in dem ein oder zwei Bänke standen. Hier packten die Musiker ihre Instrumente aus und spielten sich ein wenig warm, bis aus einem extra dafür installierten billigen Lautsprecher Jos verzerrte Stimme dröhnte, die den nächsten Künstler auf die Bühne bat. Wenn man (wie ich in der Regel) erst gegen 4 Uhr morgens auftrat, bestand das Publikum meist nur noch aus 5 bis 10 Leuten, während es vorher, vor allem zwischen 22 und 2 Uhr etwa, eigentlich immer sehr voll war. Doch war ein größeres Publikum für den auftretenden Künstler auch nicht immer besser, wie mein Notizbucheintrag vom 23. Februar ’74 zeigt: “Habe diesmal nicht als Letzter, sondern einigermaßen früh gegen halb 3 gespielt, und es war noch voll, aber die Leute haben kein Stück zugehört.”

Noch Jahrzehnte später ist meine Erinnerung an Berlin immer von nächtlicher Dunkelheit geprägt gewesen, und als ich zuletzt (im Juli 2008) dort war, um die Hochzeitsparty meines Freundes Francis Serafini nicht zu verpassen, habe ich Berlin endlich mal entspannt im Sommer bei Tage erleben können und bin echt erstaunt darüber gewesen, wie schön und hell die Stadt da auf mich gewirkt hat. Im Februar 1974 hatte ich dagegen kaum etwas vom Tageslicht zu sehen bekommen. Ich übernachtete damals bei Jürgen Klucken, der bei einer Ärztin zur Untermiete wohnte, und die durfte nicht wissen, daß noch ein weiterer Mensch unter ihrem Dach lebte. Und wenn ich mal früh, also gegen 4 oder 5 Uhr, nach Hause kam, war sie noch nicht auf und ich schlich mich einfach rein, aber wenn es im Go-In am Wochenende mal später wurde, mußte ich draußen so lange ausharren, bis sie gegen 7 Uhr herum das Haus verlassen hatte, bevor ich endlich hineinkonnte. Und wenn ich ausgeschlafen hatte, ging es schon wieder aufs Dunkelwerden zu, und dann mußte ich weg sein, bevor die Wohnungsinhaberin zurückkam. Das Wochenende war natürlich die gefährlichste Zeit, da sie dann auch tagsüber zuhause war, doch kann ich mich nicht mehr erinnern, wie ich das geregelt bekommen habe. Für Jürgen ist das natürlich auch nicht gerade total einfach gewesen, so daß es ihm sehr recht war, als ich Ende Februar den Micki kennenlernte, der oft im Go-In rumhing und mit jemandem in Neukölln zusammenwohnte, wo ich dann ebenfalls unterkommen konnte. Der Mitbewohner war allerdings etwas seltsam und hatte zu allem Überfluß auch noch eine große und ebenfalls recht seltsame Dogge, und besonders wohl fühlte ich mich in der Gegenwart der beiden nicht.

Tagebucheintrag: “Bin mit Micki im Go-In gewesen und habe gehofft, daß einer ausfällt, damit ich spielen kann. Dann ist ein Anruf für Micki von dem Typ gekommen, bei dem der Micki wohnt, und bei dem ich auch seit heute wohne. Der Typ hat sich unheimlich darüber aufgeregt, daß Micki ihm nichts davon erzählt hat, daß ich da jetzt auch wohnen solle, und er fände das scheiße. Um 4 Uhr morgens war dann klar, daß ich nicht mehr spielen würde und daß Micki total blau war. Wir sind dann mit dem Taxi nach Berlin 44 gefahren, haben unsere Sachen [bei dem Doggentyp] gepackt und sind mit dem nächsten Taxi nach Berlin 61. Da wohnen drei Finninnen, und eine davon ist die Freundin vom Micki. Wir kamen also um 6 Uhr morgens da an, Micki hatte einen Schlüssel und sagte: Hallo, das ist der Pelikan, und der wird jetzt hier ‘ne Zeitlang wohnen. Dann habe ich mir aus ein paar Matratzen ein Bett gebaut, Micki hat die Frau gebumst, und ich bin eingepennt. Nach dreieinhalb Stunden wachgeworden, weil die Katze mir auf dem Arsch rumgetrampelt ist, aufgestanden, angezogen. Micki und ich sind dann nach Halensee gefahren, um die Schlüssel nachmachen zu lassen. Draußen war duftes Wetter, deshalb sind wir zur S-Bahn gelaufen, ungefähr eine halbe Stunde, dann gefrühstückt: ein Hamburger. Gegen 18 Uhr waren wir wieder zurück und haben zu Mittag gegessen, Kartoffelpüree, und dann bin ich eingepennt. Um 21 Uhr wieder wachgeworden, und Micki hatte gerade ein paar geklaute Koteletts gebraten, also Kotelett als Abendbrot gegessen und dann endgültig eingepennt.” [An diesem Tag hatte ich keinen Gig im Go-In.]

Bei den Finninnen habe ich dann bis zum Schluß, also ungefähr 5 Wochen lang, gewohnt, und meine Knete, die ich aus Duisburg mitgebracht hatte, war da schon längst aufgebraucht. Im März ’74 habe ich bei insgesamt 32 Auftritten 344 DM verdient, was einem Tagesschnitt von 11 Mark und ‘n paar Zerquetschten entspricht, und damit ließ sich damals – wenn man keine Miete zahlen mußte – zumindest überleben. Mein Frühstück hat häufig aus 2 Buletten und ‘nem warmen Kakao vom Imbißwagen bestanden, und abends gab’s schräg gegenüber vom Go-In rechteckige Pizza-Stücke für 1 DM zu kaufen. Das Bier im Go-In war, so weit ich mich erinnere, für Künstler, die an dem Abend auftraten, umsonst, aber weil ich ja meistens als Letzter spielte, durfte ich das auch nur in Maßen genießen und nicht übertreiben. [Meine Alkoholprobleme sollten sich erst anderhalb Jahrzehnte später richtig manifestieren, und mit Drogen war ich 1974 bereits durch, denn sonst hätte ich damals damit – Micki ist nicht gerade ein Engel gewesen – auch noch Schwierigkeiten bekommen können.] Und die Fahrten zum Ku’damm und zurück zur Schönleinstraße (die Nachtbusse fuhren einmal pro Stunde) mußten auch noch fast täglich bezahlt werden. Aber was ist das für eine tolle Zeit für einen zwanzigjährigen Burschen gewesen, der auf ein normales Leben mit normalem Job und so ohnehin keinen Bock hatte. – Micki schuldet mir übrigens bis heute noch 20 DM, aber angesichts dessen, was er unterbringungsmäßig alles für mich getan hat, ist das gut angelegtes Geld gewesen.

Auf der Go-In-Bühne, März 1984: Ron Randolf, Bob Williams, Jesse Ballard, Wayne Grajeda, Joe Kucera, Chris Evans, Ramesh Weeratunga, David Crome (Foto: Peter-M. Scheibner)

Neben den bereits erwähnten “Größen” Jesse & Joe, Sammy Vomáčka und Franz de Byl, hatten es mir vor allem die amerikanischen Musiker im Go-In angetan (die alle seit 1971/72 in der Stadt waren), und es kam nicht von ungefähr, daß “die kleine Bluesmaschine” aus Duisburg sich in den folgenden Jahren immer mehr zu einem Folk-Pop-Songwriter entwickelt hat, was ohne den Einfluß der Lieder von John Vaughan, Wayne Grajeda, Tom Cunningham, Francis Serafini und Ramesh Weeratunga (die allesamt Gitarre spielten und sangen) bestimmt nicht in dem Maße geschehen wäre. Ramesh (der damals auch im Duo mit Hansi Behrendt, dem späteren Drummer von Ideal, an den Bongos auftrat) kam zwar aus Sri Lanka, wurde von mir aber immer zur amerikanischen Musikerclique gehörend empfunden. Sein erklärtes Ziel war es, irgendwann mal eine Platte zu machen, die von Frank Zappa produziert sein würde, was er zwar nie geschafft hat, doch zeugen seine eigenen Produktionen auch nicht gerade von schlechten Eltern.

Mein bester Freund unter den Berliner Musikern sollte Francis Serafini werden, ein Singer/Songwriter, dessen selbstgeschriebene Lieder von solch einer Qualtität waren [leider hatte er dasselbe “Handicap” wie ich: nämlich kein erstklassiger Sänger zu sein], daß sie eine weit größere Bekanntheit als nur in einigen Klubs der Berliner Folkszene verdient gehabt hätten, doch glaube ich, daß er auch als nur kleiner Musiker [in den letzten Jahren seines Lebens hat er sich mit Taxifahren über Wasser gehalten] recht zufrieden gewesen ist. Am 31. Januar 1974 bin ich gegen 22 Uhr zum ersten Mal im Steve Club aufgetreten, und vor mir hatte Francis gespielt, den ich da zum ersten Mal gesehen habe und den ich sofort klasse fand. Anschließend bin ich ins Go-In gegangen, wo ich für ca. halb 4 eingeplant war, bis mich kurz nach Mitternacht Francis’ Freundin Gabe ansprach und mich fragte, ob ich meine Auftrittszeit heute vielleicht mit der von Francis tauschen könne. Er würde gegen 0 Uhr 30 im Go-In auf die Bühne gehen sollen, könne den Termin aber nicht einhalten, weil er im Folkpub aufgehalten worden sei [der Mann hatte an diesem Abend doch tatsächlich drei Gigs in drei verschiedenen Läden, was aber auch für andere Musiker gar nicht so ungewöhnlich war!], weil da so viele neue Leute eingeschoben worden wären. Und so habe ich dann schon relativ früh gespielt, als es noch richtig voll war, während Francis dann meine Spätschicht übernommen hat. Rund zwei Wochen später fragte er mich, ob ich nicht mal Lust auf eine Session hätte, und Ende März gab es dann zwei Auftritte, bei denen ich Francis auf der akustischen Gitarre zu seinen Songs (in zum Teil leadgitarristischer Manier) begleitet habe, was wir bei meinen späteren Berlinbesuchen (bis 1980) und in Bob’s Stage, einem Folkklub in der Nähe von Mönchengladbach, dann auch fortgesetzt haben. [Mit insgesamt 30 gemeinsamen Auftritten rangiert Francis immer noch auf Rang 10 meiner Liste von mehr als 200 verschiedenen Musikern, mit denen ich schon mal live vor Publikum zusammengespielt habe.]

Tom Altrogge im August 1973

Es hatte sich damals (1974) in Duisburg übrigens herumgesprochen, daß Pelikan in Berlin nicht einfach nur rumhing, sondern jede Menge Bühnenerfahrung sammelte, und so bekam ich auch zweimal Musikerbesuch von daheim, einmal erwartet, und einmal unerwartet. Am 13. Februar kam ich ins Go-In, und da saß einfach so der Motte da und verzehrte ein Abendessen. Er war einen Tag vorher in Berlin angekommen und hatte bereits im Folkpub gespielt, aber im Go-In ist er, so weit ich mich erinnere, nie aufgetreten, und fuhr auch nach wenigen Tagen schon wieder zurück. Drei Wochen später, am 6. März, war im Go-In besonders viel los, weil der Laden sein 6jähriges Bestehen feierte, und an diesem Tag (wo ich wieder als Letzter gespielt habe, dieses Mal aber schon recht angetrunken, was aber niemanden gestört hat, weil das Publikum auch selbst schon ziemlich dicht war) sind Tom Altrogge, Helmut Luczak und noch ein Typ aus Duisburg in Berlin eingetroffen. In den folgenden neun Tagen bin ich mit Tom an der Geige [wir hatten 1971/72 mit einem Bongospieler zusammen die Combo “Scarabäus Zubiss” gehabt] dann sechsmal im Go-In aufgetreten, und nachdem ich mir die 12 DM Gage beim ersten Mal mit Tom geteilt hatte, hat Jo danach ungefragt 20 DM für unser Duo springen lassen.

Neben diesen beiden Besuchen aus der Heimat gab es für mich in Berlin aber auch noch ein Wiedersehen der vollkommen außergewöhnlichen und absolut unwahrscheinlichen Art. Erinnert ihr euch noch an Lis, die mir im Sommer ’73 brieflich erklärt hatte, daß ich meinen Vom-Musikmachen-leben-wollen-Traum doch endlich gegen was Seriöses eintauschen solle? Ich hatte sie 1971 bei meinem ersten Allein-ohne-Eltern-Urlaub in London auf dem Trafalgar Square kennengelernt und mich heftig in sie verliebt. Im Herbst ’71 und ’72 hatte ich sie dann noch mal bei ihren Eltern in Münchweiler/Rodalb besucht … und am 21. März 1974 schlängelte ich mich unahnungsvoll durch das zahlreiche Go-In-Publikum, als sie plötzlich vor mir stand. Sie war mit der Schulklasse in Berlin und hatte keine Ahnung davon, daß ich ebenfalls in der Stadt war und sogar in diesem Schuppen spielte, weil unser Kontakt mittlerweile abgebrochen worden war. Sie konnte bei diesem unerwarteten Wiedersehen leider nicht lange bleiben, doch trafen wir uns am folgenden Tag erneut im Go-In und verlebten einen wirklich aufregenden und auch romantischen Abend, der wieder stark an das Feeling von London erinnerte. Gegen 0 Uhr 30 mußte sie dann gehen, während ich allein zurückblieb, um 4:50 Uhr noch auf die Bühne trat und danach einfach aufblieb und mich irgendwo rumtrieb, bis ich Lis gegen 9 Uhr morgens zu unserer letzten Verabredung am Bahnhof Zoo traf, wo wir noch anderthalb Stunden auf einer Bank verbrachten, bevor sie zum Zug mußte. Und sechseinhalb Jahre später sollte das unberechenbare Schicksal uns noch ein weiteres Mal zusammenbringen, und zwar im Zug von Wuppertal nach Düsseldorf. – Was wohl seitdem aus ihr geworden ist? Und ob sie inzwischen mit meinem Lebenslauf einverstanden sein würde? Egal!

Jo Diekmann (links) und John Vaughan (Mitte) hinter der Theke des Go-In, März 1984 (Foto: Peter-M. Scheibner)

Ansonsten erinnere ich mich in Berlin noch an das allererste Autogramm, das ich auf dem Ku’damm geben mußte [Pelikan: “Aber ich bin doch gar nicht bekannt.” – Autogrammwünscher, der mich mal im Go-In spielen gesehen hatte: “Aber vielleicht in 10 Jahren.”]. / Und an einen Musiker aus Chicago, der erst kürzlich in der Stadt angekommen war und durch seine kompromißlose Art auffiel: einerseits, weil er mit einer offenen Gitarrenstimmung auch die Musiker im Publikum in bewunderndes Erstaunen versetzte, und andererseits, weil er bei einer eher harmlos anmutenden Kontroverse plötzlich sein Schultheiss-Bierglas am Tischrand abbrach und es seinem Gegenüber in entschlossener Komm-ruhig-her-wenn-du-was-von-mir-willst-Manier präsentierte. / Und dann erinnere ich mich natürlich noch an das Ende der vielen langen Go-In-Abende. Nachdem der letzte Musiker (der ja meistens Pelikan hieß) die Bühne verlassen hatte, war es zwar noch nicht zwingend vorbei mit dem geselligen Beisammensein der letzten verbliebenen Nachteulen, doch wenn Jo – wie immer zum Schluß – “Gute Nacht, Freunde” von Reinhard Mey auflegte, wußte man, daß das Ende des Aufenthalts in dieser Lokalität für heute gekommen war, denn danach kannte Jo kein Pardon mehr: Feierabend, Leute, raus hier!

Und auch mein kleiner Erinnerungsbericht steuert nun auf seinen Feierabend zu. Am 2. April 1974 bin ich, nachdem ich spätnachts/frühmorgens noch ein letztes Mal im Go-In gespielt hatte, wieder zurück nach Duisburg gefahren [das Geld für die Zugfahrkarte hatte ich mir von meinen Eltern zuschicken lassen müssen], doch ist das noch nicht das Ende meiner Beziehung zu Berlin gewesen. Ein halbes Jahr später bin ich noch mal für einige Tage runtergefahren und habe auch 1975 noch drei Wochen dort verbracht, so auch im April für Aufnahmen im Tonstudio mit Francis Serafini (Gitarre, Gesang, Mundharmonika), Dave Taylor (Baß), John Mernit (Schlagzeug) und Jim Whittemore (Gitarre und Piano). Und drei der damals eingespielten Songs sollen jetzt auch noch auf meine demnächst erscheinende Doppel-CD “Falsch abgebogen” kommen.

Ramesh Weeratunga in Bob’s Stage, Januar 1977 (Foto: Hawé)

Neben Berlin muß ich aber auch noch den Folkklub “Bob’s Stage” erwähnen, der Ende Oktober 1974 in Hemmerden (einem Ortsteil von Grevenbroich) eröffnet wurde und aus einem (von dem vormals dort ansässigen Westernverein errichteten) hölzernen Blockhaus auf einem Bauernhof bestand, in dessen einzigem Raum es weder eine Bühne noch einen Backstagebereich gab, so daß Musiker und Publikum dort ganz anders in Kontakt miteinander kamen als in anderen Klubs. Der musikalische “Star des Abends” wurde stets für eine ganze Woche engagiert, doch durften meist auch andere Musiker, die im Publikum weilten und “zufälligerweise” ihr Instrument dabeihatten, dann noch spielen. Ich selbst habe mein Auftrittskonto auf diese Weise auch immer sehr gern aufgestockt, wenn ich etwa dort war, um Francis zu sehen (insgesamt acht Mal zwischen November 1974 und Februar 1977), wobei ich – wenn es sich einrichten ließ – auch häufig einfach länger blieb und ihm ein paar Tage Gesellschaft leistete. Auch John Vaughan habe ich zweimal im “Stage” getroffen (wo wir auch mal einen kleinen Song gemeinsam geschrieben haben, “Henry the Bird”, von dem John auch heute noch einige Textzeilen zitieren kann), sowie zweimal Ramesh Weeratunga und einmal Jim Whittemore. Nur Jesse Ballard, Tom Cunningham und Wayne Grajeda sind von meinen Berliner Musikerhelden dort (meines Wissens nach) nie aufgetreten.

Es hat aber auch noch das eine oder andere Wiedersehen in Duisburg gegeben, wo Francis Serafini (im November ’74), Tom Cunningham (im Mai ’75) und John Vaughan (im April ’76) jeweils im “Eschhaus” gespielt haben, während Ramesh Weeratunga einmal im “Bürgerhof” aufgetreten ist. Und im Dezember ’78 hat Francis auch noch mit seiner neuen Band “Frank Slim & the Continental Cowboys” (mit Micky Wolf an der Leadgitarre) im Eschhaus Station gemacht, wo Pelikan in der Pause dann noch fünf Lieder mit einem Musiker aus der Gegend zusammen – einem gewissen Helge Schneider – vortragen durfte.

Pelikan und Francis Serafini in Bob’s Stage, Februar 1977 (Foto: Hawé)

Nachdem ich im Oktober ’78 und im August ’80 noch einmal für 5 bzw. 14 Tage in Berlin war, um Francis zu besuchen und im “Banana” zu spielen, ist der Kontakt in den 80er Jahren dann doch ziemlich eingeschlafen, vielleicht auch deshalb, weil ich in dem Jahrzehnt hier in Duisburg meine beiden “Hollywood Rats”-Bands gegründet und zum ersten Mal regelmäßig zu arbeiten begonnen habe: als Gitarrenlehrer an der hiesigen Volkshochschule. Am 1. Juni 1991 spielte ich dann ein letztes Mal mit Francis beim Bob’s-Stage-Revival-Festival in Hemmerden zusammen (der Pachtvertrag für den Bauernhof lief aus, während die ehemalige Cowboyhütte schon so baufällig geworden war, daß die 2tägige Party in einem großen Zelt daneben hatte stattfinden müssen). Und fünf Jahre später erhielt ich (am 2. Juni 1996) nachmittags einen Anruf von Mata aus Berlin, ob mir bekannt sei, daß Francis, John, Tom, Wayne, Jesse und Bob Williams an diesem Abend ihre gemeinsame CD im Quasimodo vorstellen würden? Ich hatte keine Ahnung davon gehabt, bin aber dann pünktlich zum Konzertbeginn um 22:30 Uhr an Ort und Stelle gewesen. Und im März 1999 hatte ich noch die Ehre, im Vorprogramm von Jesse Ballard’s Paradise Island Band in Düsseldorf aufzutreten. [Mann, ist das ein schlimmer Laden gewesen: da gab’s wirklich etiche Leute, die perfekt als Statisten für einen Piratenfilm getaugt hätten – von denen im späteren Verlauf des Abends dann auch mal einer mit ‘ner Überdosis in einer Ecke zusammengesackt ist, woraufhin man hektisch nach dem Geschäftsführer fahndete. / Und als Jesse das Publikum zu Beginn seines Sets mit den Worten “let’s have a party” begrüßt hatte, meinte ein schon reichlich betrunkener Typ neben mir: “Jau, die machen da oben ne Party, und wo bleiben wir?”]. Und im Juli 2008 habe ich fast alle meine alten Go-In-Helden noch mal bei Francis’ Hochzeitsfeier in Berlin wiedergesehen.

Und, gibt’s die Leute auch heute noch?

Jesse Ballard [* 1951 in San Francisco] lebt in Santa Barbara, Kalifornien, kommt aber immer wieder mal – auch zum Musikmachen – nach Berlin. [Gestorben im November 2023 in Berlin.]

Tom Cunningham [* 1951 in New York City] lebt in Berlin. Er hat 2005 einen Schlaganfall erlitten, nach dem sein rechter Arm gelähmt blieb, schreibt inzwischen aber wieder Lieder und macht auch wieder Auftritte als Sänger in Begleitung eines Pianisten oder Gitarristen.

Wayne Grajeda [* 1945 in Los Angeles] lebt in Berlin. [Gestorben im September 2020 in Berlin.]

Saxophone Joe Kučera [* 1943 in Prag, Tschechien] lebt in Berlin.

Francis Serafini [* 1948 in Winsted, Connecticut] lebte bis zu seinem plötzlichen Tod im August 2011 (Gehirntumor) in Berlin.

John Vaughan [* 1951 in Salzburg, Österreich] lebt in Berlin. [Gestorben im März 2020 in Berlin.]

Pelikan und John Vaughan in Bob’s Stage, August 1975 (Foto: Karl-Heinz “Charlie” Müller)

Ramesh Weeratunga [* 1951 in Colombo, Sri Lanka] lebt in Berlin. [Gestorben im Juli 2017 in Kleinmachnow bei Berlin.]

Und Jo Diekmann, der zu meiner Zeit Geschäftsführer und später Inhaber des Go-In gewesen ist? Er müßte der eigentliche Held dieser Geschichte sein, denn er war einer jener “unsung heroes”, ohne die vieles gar nicht stattgefunden hätte. Jo ist ein Mann gewesen, der sich nie in den Vordergrund gespielt hat und dessen Rolle als wirklicher Förderer der damaligen Berliner Musik-Szene mir auch beim Schreiben dieses Artikels erst richtig bewußt geworden ist. Wenn ich in den vergangen vier Jahrzehnten an meine Berliner Zeit gedacht habe, sind mir vor allem meine Musikerfreunde in den Sinn gekommen, doch viel zu selten auch Jo, der allerdings auch schon ein paar Jährchen älter war als wir und auch mehr unser Arbeitgeber als unser Kollege gewesen ist. Aber ohne ihn… Denn in welchem anderen Laden auf der Welt hätte ich die Möglichkeit gehabt, als völlig unbekannter junger Musiker 53 Gigs (davon 52 bezahlte) in 67 Tagen machen zu können? Wahrscheinlich in keinem.

Jo Diekmann (der um 1939 oder ’40 herum geboren sein dürfte) hat Anfang der 90er Jahre einen schweren Schlaganfall erlitten und ist Zweitausendirgendwann [falls jemand von euch genauere Datumsangaben zu Geburt, Schlaganfall und Tod machen kann, sendet mir doch bitte eine E-Mail] in Berlin gestorben. Auf der Bleibtreustraße 17 hat sich, als ich 2008 mal nachgesehen habe, ein Restaurant befunden, doch lebt das Go-In nicht nur in meiner und der Erinnerung vieler anderer “Fans” weiter, sondern ist auch in Wayne Grajedas Song “Number 17 Stay-True Street” besungen und verewigt worden – ein Lied, das auch als Eröffnungsnummer der ersten Scheibe der nachfolgenden kleinen Diskographie einen Ehrenplatz innehat.

“Hagelberger Street – Americans in Berlin”
(featuring Jesse Ballard, Tom Cunningham, Wayne Grajeda, Francis Serafini, John Vaughan, Bob Williams u.a.), CD, 1996

Jesse Ballard
– “Livin’ Like Fire”, LP, 1977 / CD, 1998 (umbenannt in “Paradise Island Band”)
– “Return To Paradise”, CD, 1998
– “Talkin’ To The Rain”, CD, 2003
– “Constantly In View”, CD, 2008
– “Cut It All Loose”, CD, 2014

Tom Cunningham
– “Have A Little Faith In The Kid”, LP, 1978
– “Comin’ Back For More”, LP, 1979
– “Lost In Thailand”, CD, 1991
– “What If”, CD, 1996
– “…a little time”, CD, 1999
– “Denn Du bist da”, CD, 2000
– “A Beautiful Lie”, CD, 2005
– “Me Again”, CD, 2012
– “My Berlin Years, Vol. 1”, CD, 2015
– “My Berlin Years, Vol. 2”, CD, 2018

Wayne Grajeda
– “Eastfield Meadows” (featuring Wayne Grajeda & Jim Whittemore), LP, 1968
– “Staytrue Street” (with Bob Williams), CD, 2003
– “Chameleon”, CD, 2006
– “Too Good To Be True”, CD, 2015

Joe Kučera
– “Saxophone Joe & Friends”, LP, 1986
Außerdem hat Joe auf mehreren Dutzend Tonträgern anderer Musiker mitgewirkt, darunter auch auf vielen seiner Berliner Kollegen.

Francis Serafini
– “Live at Bob’s Stage 1976”, Bootleg-CD, 2008
– “Between The Dark And The Light”, CD, 2012 (recorded between 2003 and 2005)

John Vaughan
– “Mr. Bojangles” (auf deutsch), Vinyl-Single, 1971
– “Somewhere In Europe”, LP, 1976 / CD, 1998 (plus 8 unpublished songs)
– “Postcards From The Road”, CD, 2002
– “Rhapsody From Sixth Avenue”, CD, 2008
– “Live at Bob’s Stage 1975/77”, Bootleg-CD, 2008
– “West Berlin 1972”, CD, 2012 (recorded in 1972)

Ramesh Weeratunga
– “The Beauty Of Our Madness”, LP, 1981
– “Open Wide”, CD, LP, MC, 1991
– “Go Deeper” [Electric Rama], CD, 1996
– “The Visitor”, CD, 2001
– “re-visited”, CD, 2004
– “This Is”, CD, 2008
– “Polka Dots”, MP3-Album, 2012
– “Two People”, CD, 2015

A.S.H. Pelikan
– “Welcome To Chilligoo”, CD, 2008 (aufgenommen 1981 und ’83)
– “The Wizard Of OTZ”, Doppel-CD, 2009 (Aufnahmen von 1975 bis ’83)
– “Showtime In Neumühl”, CD, 2010 (aufgenommen am 27.8.1988)
– “Besser als nichts”, CD, 2011 (Aufnahmen von 1991 bis 2008)
– “Kurz vorm Durchbruch”, CD, 2012 (aufgenommen 1987/88)
– “Falsch abgebogen”, Doppel-CD, 2015 (Aufnahmen von 1975* bis 2014)
……….*featuring Francis Serafini und Jim Whittemore

mmBibliographie:
Ulf G. Stuberger
– “Joe Kučera – Leben in Balance”, 2010
A.S.H. Pelikan
– “Herzlichen Glückwunsch”, 1982

Und zum Schluß möchte ich nicht vergessen, meinen besten Dank an John Vaughan, Peter Scheibner und Tom Cunningham auszusprechen, die mir freundlichst geholfen haben, einige Erinnerungslücken zu schließen.